Bosnien 2003
Zeitreise
Wir saßen im Bus – eine Spende der evangelischen Kirche Deutschlands für eine bosnische Jugendhilfsorganisation – schwiegen und hingen unseren eigenen Gedanken nach. Wir hatten bereits Österreich, Slowenien und Kroatien durchquert und fuhren nun durch Bosnien, das wir erst nach dem Sonnuntergang erreicht hatten, so dass ich es leider nicht sehen konnte.
„Hier leben die Menschen mit einer Lüge, die so groß ist, dass die Wahrheit selbst eine Lüge geworden ist.“, murmelte Stefan und schlief ein. Er war schon ein paar Mal in Bosnien gewesen. Für mich war es das erste Mal und ich fand keinen Schlaf.
Als wir endlich in Tuzla ankamen, war es der Geruch, der den ersten Eindruck auf mich machte: Braunkohle. Den kannte ich noch aus meiner Kindheit in der DDR, wo meine Familie mit Kohle geheizt hatte. Aber jetzt war er intensiver. Die Braunkohle wird zur Gewinnung der Elektrizität verwendet und ihr Geruch war allgegenwärtig, war im Wasser, im Essen und natürlich im Wind, in dem tagsüber die Wäsche trocknete. Ständig lag die Erinnerung an Früher in der Luft.
Ich kam mir wie meine eigene Westverwandtschaft vor 20 Jahren vor. Damals heizten wir noch mit Kohle, hatten keine Wäschetrockner und das sozialistische Grau der Neubauten verstellte den Blick auf den Himmel. Fast wie eine Zeitreise. Fast, denn natürlich gab es Unterschiede: Einschlusslöcher in den Wänden, fehlende Gliedmaßen der Einwohner und die vielen Todesanzeigen an den Bäumen, um nur ein paar zu nennen.
Am nächsten Morgen trafen wir – ein Pfarrer, ein Vertreter der Eineweltläden Deutschlands, zwei Zivis, mein Kollege Stefan und ich als Vertreter des Landesjugendkonvents – Laihra, die Leiterin der Hilfsorganisation IPAK. Von dem Gespräch ist mir besonders ein Ausspruch Laihras im Gedächtnis geblieben: „Wir bauen hier eine neue Zukunft.“ Wie paradox, ist doch jede Zukunft neu. Doch ihr ging es darum eine Zukunft zu erschaffen, die besser war, als die, die sich ohne Hilfe aus der Gegenwart ergeben würde.
Die Jugendlichen, die IPAK unterstützte, brauchten Hilfe. Ein Großteil war während des Krieges nach Süddeutschland geflüchtet, so dass sie deutsch mit bayrischem Akzent sprachen. Nun waren sie zurück in ihrer Heimat, an die sie kaum Erinnerungen hatten, die zerstört war und in der es keine Perspektiven für sie gab. Statt religiöser Gebetsgesänge waren ihnen die neuesten Handyklingeltöne wichtiger. Doch es war unmöglich, lauter als das Echo des Krieges zu sein. Die Toten waren beerdigt, zerstörte Gebäude wieder aufgebaut und alte Hauswände hatten einen neuen Anstrich bekommen. Aus dem Hotelfenster sah ich, wie ein paar Soldaten lustlos den Kasernenhof fegten. Als ein paar junge Frauen vorbei kamen, spielten sie auf den Besen Luftgitarre. Es gab wieder Normalität und Alltag. Doch der Krieg ließ sich nicht verdrängen, zuviel war kaputt gegangen. Doch mit den Erinnerungen ließ sich auch nicht leben.
„Die Menschen kommen hier mit ihrer Vergangenheit nicht klar. Dasselbe gilt für die Gegenwart. Ja, und von der Zukunft brauchen wir gar nicht reden. Das schlägt sich natürlich auf die Identität nieder“, so Stefan zu mir, als ich anfange zu begreife, dass in Bosnien vieles Fassade ist.
Wir machten mit den Jugendlichen einen Ausflug nach Sarajevo. Ein rostiges Eingangsschild mit vielen Einschusslöchern begrüßte uns zu den olympischen Winterspielen 1984. Vom Berghang hatten wir gute Sicht: das riesige Sportstadium, die neuen Gebäude mit Glasfassaden, die noch zerstörten Häuser und der riesige Friedhof, den wir aufsuchen, nachdem wir die Jugendlichen zum Shoppen im Stadtzentrum abgesetzt hatten.
„Wir sind Postkriegstouristen. Wenn wir nichts vom Tod sehen, hat sich die Fahrt für uns nicht gelohnt.“ sagt Stefan sarkastisch und geht nachdenklich zwischen den weißen Marmorstelen umher. Die meisten, die hier liegen, wurden kaum älter als wir.
Bosnien ähnelt in Vegetation und Klima Deutschland. Würde man einen Waldspaziergang unternehmen und nicht zufällig auf eine der vielen Mienen treten, die dort noch liegen, könnte man sich in Deutschland wähnen. So wäre also Deutschland, hätte es dort in meiner Kindheit Krieg gegeben.
Wir saßen im Bus – eine Spende der evangelischen Kirche Deutschlands für eine bosnische Jugendhilfsorganisation – schwiegen und hingen unseren eigenen Gedanken nach. Wir hatten bereits Österreich, Slowenien und Kroatien durchquert und fuhren nun durch Bosnien, das wir erst nach dem Sonnuntergang erreicht hatten, so dass ich es leider nicht sehen konnte.
„Hier leben die Menschen mit einer Lüge, die so groß ist, dass die Wahrheit selbst eine Lüge geworden ist.“, murmelte Stefan und schlief ein. Er war schon ein paar Mal in Bosnien gewesen. Für mich war es das erste Mal und ich fand keinen Schlaf.
Als wir endlich in Tuzla ankamen, war es der Geruch, der den ersten Eindruck auf mich machte: Braunkohle. Den kannte ich noch aus meiner Kindheit in der DDR, wo meine Familie mit Kohle geheizt hatte. Aber jetzt war er intensiver. Die Braunkohle wird zur Gewinnung der Elektrizität verwendet und ihr Geruch war allgegenwärtig, war im Wasser, im Essen und natürlich im Wind, in dem tagsüber die Wäsche trocknete. Ständig lag die Erinnerung an Früher in der Luft.
Ich kam mir wie meine eigene Westverwandtschaft vor 20 Jahren vor. Damals heizten wir noch mit Kohle, hatten keine Wäschetrockner und das sozialistische Grau der Neubauten verstellte den Blick auf den Himmel. Fast wie eine Zeitreise. Fast, denn natürlich gab es Unterschiede: Einschlusslöcher in den Wänden, fehlende Gliedmaßen der Einwohner und die vielen Todesanzeigen an den Bäumen, um nur ein paar zu nennen.
Am nächsten Morgen trafen wir – ein Pfarrer, ein Vertreter der Eineweltläden Deutschlands, zwei Zivis, mein Kollege Stefan und ich als Vertreter des Landesjugendkonvents – Laihra, die Leiterin der Hilfsorganisation IPAK. Von dem Gespräch ist mir besonders ein Ausspruch Laihras im Gedächtnis geblieben: „Wir bauen hier eine neue Zukunft.“ Wie paradox, ist doch jede Zukunft neu. Doch ihr ging es darum eine Zukunft zu erschaffen, die besser war, als die, die sich ohne Hilfe aus der Gegenwart ergeben würde.
Die Jugendlichen, die IPAK unterstützte, brauchten Hilfe. Ein Großteil war während des Krieges nach Süddeutschland geflüchtet, so dass sie deutsch mit bayrischem Akzent sprachen. Nun waren sie zurück in ihrer Heimat, an die sie kaum Erinnerungen hatten, die zerstört war und in der es keine Perspektiven für sie gab. Statt religiöser Gebetsgesänge waren ihnen die neuesten Handyklingeltöne wichtiger. Doch es war unmöglich, lauter als das Echo des Krieges zu sein. Die Toten waren beerdigt, zerstörte Gebäude wieder aufgebaut und alte Hauswände hatten einen neuen Anstrich bekommen. Aus dem Hotelfenster sah ich, wie ein paar Soldaten lustlos den Kasernenhof fegten. Als ein paar junge Frauen vorbei kamen, spielten sie auf den Besen Luftgitarre. Es gab wieder Normalität und Alltag. Doch der Krieg ließ sich nicht verdrängen, zuviel war kaputt gegangen. Doch mit den Erinnerungen ließ sich auch nicht leben.
„Die Menschen kommen hier mit ihrer Vergangenheit nicht klar. Dasselbe gilt für die Gegenwart. Ja, und von der Zukunft brauchen wir gar nicht reden. Das schlägt sich natürlich auf die Identität nieder“, so Stefan zu mir, als ich anfange zu begreife, dass in Bosnien vieles Fassade ist.
Wir machten mit den Jugendlichen einen Ausflug nach Sarajevo. Ein rostiges Eingangsschild mit vielen Einschusslöchern begrüßte uns zu den olympischen Winterspielen 1984. Vom Berghang hatten wir gute Sicht: das riesige Sportstadium, die neuen Gebäude mit Glasfassaden, die noch zerstörten Häuser und der riesige Friedhof, den wir aufsuchen, nachdem wir die Jugendlichen zum Shoppen im Stadtzentrum abgesetzt hatten.
„Wir sind Postkriegstouristen. Wenn wir nichts vom Tod sehen, hat sich die Fahrt für uns nicht gelohnt.“ sagt Stefan sarkastisch und geht nachdenklich zwischen den weißen Marmorstelen umher. Die meisten, die hier liegen, wurden kaum älter als wir.
Bosnien ähnelt in Vegetation und Klima Deutschland. Würde man einen Waldspaziergang unternehmen und nicht zufällig auf eine der vielen Mienen treten, die dort noch liegen, könnte man sich in Deutschland wähnen. So wäre also Deutschland, hätte es dort in meiner Kindheit Krieg gegeben.
Julianews - 15. Jan, 13:09