E-mails aus Indien

2. Der Anfang

Juliane Kruppke schrieb am 02.10.05 09:54:36:
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Hallo ihr Lieben,
ich braeuchte wahrscheinlich einen ganzen Tag in diesem Cybercafe, um euch alles mitzuteilen, habe aber leider nur noch eine halbe Stunde. Darum soviel zuerst: Es geht mir gut. Wer mich erreichen will (Zeitumstellung 3,5 Std.+): (0091) + 9828750410.
Dafuer musste Sofware changed werden. Laesst sich wohl auch nicht mehr zurueck aendern und ich habe keine Nummern mehr. Also schickt mir doch bitte eure Nummern noch mal per mail (fest+Handy)und Rike leite bitte die mail an Paps weiter und gib mir mal seine neue email-adresse. Soviel zum uninteressanten Teil, nun wirds spannend. Ich schreibe euch einfach soweit ich in den verbleibenden Minuten komme. Und versprochen, die mails werden nicht immer so ewig lang sein, aber der Anfang war halt eindrucksvoll:

Als ich totmuede in Dubai (4 Std. Aufenthalt)ankam (dortige Zeit Mitternacht), war ich voll ueberfordert durch Abschiedsschmerz, Unsicherheit, Vorfreude und Muedigkeit, Muedigkeit, Muedigkeit. Da Juliane ja oefters mal nicht alles peilt, habe ich mich spontan
zwei Deutschen Bengels angeschlossen, die auch in Dubai umsteigen mussten. Allerdings befanden sie sich auf dem Weg nach Shanghai um in einer dortigen Kungfu-Schule ausgebildet zu werden. Und trotzdem haben sie mich fuer verrueckt erklaert, allen nach Indien zu gehen. Wuerden aber jeden verhauen, der mich aergern wuerde. :-) Good to make new friends.
Wieder an Bord: Im Flugzeug war es bitterkalt. Fast nur indische Maenner. Erste Tuchfuehlung. Turbanmann neben mir kuschelte sich an meinen Arm und schlaeft ein. Hm? Aber Indien: Viele Leute, wenig Platz. Beruehrungen unvermeidlich und somit normal.
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Dann Flughafenstreik. Warten auf Treppe. Warten, warten. Laufen ueber das Gelaende, da kein Bus. Immer den anderen hinterher. Kampf durch die Hitzewand. Stehe vor Rollband und warte auf Gepaeck. Geruch von Raeucherstaebchen. Waren erst Symbol fuer Indien, das ich in Dt. genoss und erinnerten mich jetzt wiederum
an Dt. War aber viel zu muede fuer Traurigkeit.
Bezahlte viel zuviel fürs prepaid/Taxi (290 Rupien; Umrechnung: 1:50) und wurde ueber eine Stunde durch Bombay kutschiert.
Das ist der eigentlche Beginn. Mehr beim naechsten Mal.
Muss jetzt zum Mittag,
eure Juliane

3. Mumbai / Bombay

Juliane Kruppke schrieb am 03.10.05 14:48:

Hallo grosse Leserunde,
bin grad von ner Touri-Sightseeing-Tour zurueck und
spare jetzt mein Geld, um mir och so ein klenes
Palaestchen zu bauen. :-)
Ich haette mich ja mit dieser mail kurzgefasst, aber
Rosi hat geschrieben, dass er jede mail, und wenn sie
noch so lang ist, lesen wird...Das war absolut
motivierend. Bedankt euch also bei ihm fuer diese Romanausgabe. Seine mail-Adresse ist dem Verteiler zu
entnehmen (Martin Rosahl).

So, der Anfang war vorbei und nun sassen wir doch
gerade in einem prepaid-taxi. Man bezahlt im Voraus.
Wahrscheinlich, da es unsicher ist, ob man in diesen
wackeligen TUEV-Fans-Schocker lebend ankommt. Nach
indischer Zeit war es noch frueh am morgen. Dennoch
war die Sonne knalleheiss und ich fuehlte mich so, wie
der Edamer-Aldi-Kaese, den ich ins Land geschmuggelt
hatte, im Nachhinein aussah: Schmelzklumpig! Wieviel
Schweiss kann Jeansstoff aufnehmen?

Mumbai erwachte gerade. Trotzdem war es schon lauter,
als jede Grossstadt Deutschlands sich trauen wuerde.
Nun wurde ich ueber eine Stunde durch Mumbai kutschiert. Vorbei an Menschen, die aus ihren Holzbaracken krochen, um einen Meter von diesem
dreckigen Wohnloch ihre Morgentoilette zu verrichten.
Ueberall Menschen!!! Sie schlafen auf Zaeunen, unter
Baenken, mitten auf der Strasse...Ich sah einen
schmuddeligen, kleinen Jungen, der nichts weiter trug
als ein zerrissenes Hemdchen, sich hinhockte und einen duennen Strahl braune Suppe schiss. So einen Durchfall wuerde kein Europaeer ueberleben. Daneben
wunderschoene Frauen in traditionellen Saris mit
unterernaehrten Kindern im Arm. Ueberall Dreck und
Menschen, Rikschas und Taxis. Abgase. Linksverkehr.
Geschenk der Briten. Habe ich aber nur am Lenkrad
gemerkt. Der Verkehr (falls man das so nennen will,
wer in Indien fahren kann, kann es ueberall auf der
Welt) floss auf beiden Strassenseiten in eine
Richtung. Rush Hour.

Ein staubiges Gebauede, vor dem viele Rikschas und
Taxis warten. Wir halten. Ah verstehe, der Hauptbahnhof. Was nun? Hunderte von Maennern um mich
herum. Jeder will mir helfen? Will zumindest, dass ich in sein Gefaehrt einsteige. Schliesse die Augen. Es bleibt heiss und laut. Alle bedraengen mich. Ich denke an Worte von Freunden, die mir Menschenkenntnis
unterstellen. Schaue die Taxifahrer an. Alle reden auf mich ein. Entscheidung. Gehe schnurstraks auf einen zu. Er hilft mir aus der Menge, bringt mich zum
Ladys-Only-Schalter, wo ich nicht warten muss, denn
Frauen gibt es auf Indiens Strassen so gut wie keine,
er fuellt das Hindi-Formular fuer mich aus und ich
kriege das Ticket. Unglaublich. Nichtmal fuenf
Minuten. Der Taxifahrer war eine gute Wahl. Er
erwartet nicht, dass ich jetzt mit ihm irgendwohin
fahre. Genau darum tue ich es. Er erzaehlt mir stolz
von seinen zwei Kindern und ganz wichtig: Sie kennen
zur Schule. Er wurde in Bombay geboren. Ich habe noch
circa 8 Stunden, bis der Zug kommt. Todmuede, dreckig
und unsicher. Ich will nicht weit weg vom Bahnhof, nur wenig Geld ausgeben. Citytour. Der Faher verhandelt hart mit den Hotelangestellten ueber den Preis. Sagt zweimal nein. Laesst nicht zu, dass ich zuviel bezahle. Schliesslich: Er faehrt mich in ein billiges Hotel, eher eine Absteige, aber es gibt Ventilator, eine Klimaanlage, eine Dusche (nagut, nur einen Eimer kaltes Wasser) und eine (mit Urin besprenkelte) englische Toilette. Yes!

Nachdem ich gegessen, getrunken, geduscht und
geschlafen habe, werde ich mutig. Ausserdem ist mir
langweilig. Gehe auf die Strasse.
Hitzeschock!! Gestank, Geschrei, Gehupe. Alle staren
mich an. Ich bin im Armenviertel. Menschen stehen,
liegen, sitzen ueberall. Einige sind vielleicht tot,
aber wen kuemmerts? Einige Frauen halten mir ihre
halbtoten Kinder uner die Nase. Sie betteln, sie
flehen, sie zerren an meinem Arm. Die Kinder bewegen
sich nicht. Ob Frauen auch tote Kinder zum Betteln
benutzen wuerden? Sie sehen nich einen Cent von mir,
denn ich wollte das ueberleben. Ich kaempfe mich
zurueck ins Hotel. Klimaanlage. Pervers. Zu viert in
einem Beschlag hausen, wo sich nicht ein Mensch gerade
machen kann und um die Ecke ein tiefgekuehltes Zimmer, das sie nie sehen werde. Ich schon, obwohl ich nur einen Tag da bin. Mache die Klimaanlage aus. Nicht deshalb, sondern um mich nicht zu erkaelten. Der "Hotelboy" laesst mich nicht aus den Augen. Wuerde mir am liebsten beim Duchen helfen. Die Zeit vergeht gar nicht und langsam kommen mir Zweifel. Aber es kann doch nicht ueberall in Indien so aussehen.

Ich halte es nicht mehr aus. Lasse mir eine Cola
bringen und ein Taxi rufen. Wieder Central Station. Im spartanischen Wartesaal ein McDonald. Ich gehe nicht rein. Beobachte die Menschen. Saris, ein paar
Europaer, viele Maenner, Bettler. Fuehle mich ploetzlich pudelwohl. Kaufe einem einhaendigen
Menschen eine Kette mit Schloss ab. Fuers Gepaeck um
nachts schlafen zu koennen. Ueberall Hunde. Keine
Tollwutimpfung... Alle starren mich an.
Hoehepunkt: Ein Hund hebt sein Bein an meiner
Essenstuete. Wird von Indern vertrieben. Hatte mein
Essen in zwei Tueten verpackt, da eine durchsichtig
war. (nochmal Dank an Philipp!!) Musste ja nicht jder
sehen, was ich hatte. Die Inder organisieren sofort
eine Tuete. Der handlose Verkaeufer ueberreicht sie
mir. Als Geschenk. Weil ich beim Schlosskauf so nett
gewesen war. Noch circa anderthalb Stunden. Die Leute
starren, was mir das Recht gibt, zurueck zu starren.
Ploetzlich faengt der junge Mann neben mir ein
Gespraech mit mir an. Ihm ist langweilig. Er fragt
mich sehr schuechtern, ob das o.k. geht. Das machen
Inder ehen selten bis nie. Normalerweise geht es so:

"Hi. Where are you from? What is your Godname? I am... Are you married?"

Also: Wir reden. Gute Unterhaltung. Ueber Deutschland, Indien, Education, Armut. Dass er normalerweise schaebig aussieht und er meint, ich haette dann nicht mit ihm geredet. Ich lenke ab, denn vermutlich hat er recht. Es bleibt interessant. Er will sicher gehen, dass ich den richtigen Zug bekomme und bringt mich noch zum Bahnsteig.

So, die naechste laaange mail wird sich mit den
indischen Zuegen befassen. Ich werde euch nur von der
Anreise nach Jaipur so ausfuehrlich berichten, keine
Sorge. (Jan, kannst du die mail an Nikos
weiterleiten?) Das heisst, ihr duerft euch zumindest noch auf die tollen emails: "Indische Zuege" und "der Bahnhof in Jaipur" freuen.
Lasst euch druecken.
Eure Juliane

nur ein paar ganz enig PS:
Rike: Habe heute den ganzen Tag an dich gedacht.
Hoffe, du hattest einen grandiosen Start in dein
Studium.
Paul: Wie stehts um die neue WG? Alles klar bei euch?
Doro: Danke und Kuss! Frag Christoph, wie man sich zu
Hausarbeiten motiviert.
Elmar: Kratz und liebanguck: Kannst du die mail der
Teresa zeigen? Die hat naemlich nix email...Danke!!

4. Indische Zuege 1

Juliane Kruppke schrieb am 04.10.05 09:11:07:

Hallo ihr Lieben,
na, kommt ihr mit dem Lesen noch nach? Es gibt tolle
Neuigkeiten. Ich habe einen Praktikumsplatz. Am 15.
gehts los bei www.I-Indiaonline.com.

Schon Lust auf die naechste Endlosmail? Los gehts:
Wo waren wir. Ah ja, der nette Inder, der mich nach
der Plauderei noch zum Bansteig gebracht hat. Indische Zuege sind lang. Sehr lang. Tatsaechlich ein paar Kilometer!!! Sie bestehen aus sechs Klassen und man sollte schon wissen, zu welcher man gehoert. Ich: 3 Tier AC. AC heisst Klimaanlage, heisst mehr Geld,
heisst gut situierte Reisegenossen. Doch bevor ich die kennenlernen konnte, musste ich erstmal in den Zug. Dieser fuhr aber spontan von einem anderen Bahnsteig ab, als angekuendigt. Also laufen! Mit der Krackse auf dem Ruecken. Ein paar Kilometer den Zug entlang. Keine Zeit zum Staunen. Die Zuege fahren nur einmal taeglich. Dann ueber die Schienen, immer dem Inder hinterher, dessen eigener Zug auch schon in den
Startlochern stand. Dann endlich, das richtige Gleis,
der richtige Zug, aber das falsche Abteil. Die falschen Abteile. Laufen, laufen. Der Zug faehrt los
und ich muss aufspringen. Kann meinem Helfer gerade
noch die Hand reichen, dann verlasse ich auch schon
Bombay.

Es folgt eine Tortur auf der Suche nach meinem
Sitzplatz. Jeder will mir helfen, natuerlich, aber
alle wiedersprechen sich. Ich werde von einem Ende zum anderen geschickt. Es ist eng. Ich stosse ueberall an. Schlieslich aber finde ich 3 Tier AC und den Sitz 59.
Total erschopeft.

Meine Reisegefaehrten trudeln nach und nach ein. Alles Maenner. Hab schon nichts anders mehr erwartet. Eine Kabine teilen sich sechs Menschen. Es gibt an jeder Wand drei Pritschen. Die in der Mitte sind noch
hochgeklappt, damit man sitzen kann. Es ist so eng,
das Beruehrungen unvermeidlich sind. Indien ist anders als Deutschland.

Die anderen Fuenf:
Ein scheinbar kraenklicher Mann, der staendig sein
Taschentuch vors Gesicht presst. Er traegt eine
heruntergekommene rote Jogginghose und ich frage mich, wie er sch die AC-Klasse leisten konnte. Er spricht kein Englisch und hoert schlecht. Guckt aber
freundlich. Zieht sich mehr zurueck als die anderen.
Beteiligt sich nicht an den Gespraechen.

Der Mann mit Turban spricht anscheinend auch kein
Englisch und legt sich frueh schlafen. Vorher erzaehlt er aber noch auf Hindi ein paar Stories, die das restliche Abteil zu Lachtraenen reizen. Er traegt
Goldschmuck und sieht igendwie kauzig aus. Ein Original, das sofort sympatisch scheint. Er nickt mir
aufmunternt zu.

Die beiden Brueder tragen Seidenhemden und Stoffhosen. Ihre Schuhe glanzen wie ich es fuer ein so staubiges Land wie Indien nicht fuer moeglich gehalten haette. Sie sind Geschaeftsmaenner und haben selbst eine Kette mit Schloss fuer ihr Gepaeck dabei. Cira Ende 30 bis Mitte 40.

Fehlt noch Himanshu. 25 Jahre. Praderschuhe, Adidasrucksack, Joop-Unterhose und Versace-T-Shirt. Er hoert Backstreetboys, Celine Dion und ist unglaublich interessiert an Musik. Zumindest, was er so nennt...

Da sind wir. Nun in der engen Kabine zusammen fuer 18
Stunden. Die Maenner kommn schnell ins Gespraech. Es
dauert nicht lange, und sie reden ueber mich. Ich kann zwar kein Hindi, aber das habe ich verstanden. Blicke austauschent. Ich denke sie raten, wo ich herkomme und wer mich ansprechen soll. Schliesslich bricht Himanschu das Eis.Er wid in den folgenden Stunden als Dometscher dienen. Uebersetzen vn indischem Englsch in eins, das ich verstehe.

So, jetzt habe ich keine Lust mehr. Ausserdem habe ich Hunger. Mehr beim naechsten Mal,

Eure Juliane
Schickt mir eure Nummern.
Meine:
Billigvorwahl (z.B. 01035) + 0091 (Indien)+ 9828750410

(ca. 10 Cent|Min.)

P.S. Mein Haus: Kann mir jmd. Teresas Handynummer
mailen? Ich wuerde sie wenigstens gern mal antexten.

5. Indische Zuege 2

Juliane Kruppke schrieb am 06.10.05 09:31:57:

Hallo an alle Daumendruecker da draussen
(und danke fuer die oelf (altmaerkisch) emails heute), denn anders kann ich mir nicht erklaeren, dass ich heute in ein traineehouese umziehe. Allerdins nur in ein Zweimann bzw. Zweifrauhaus. Die dort bereits lebende (jetzt Lia und Annelie aufgepasst) Neuseelaenderin heisst Ester und scheint echt nett. Bei dem Haus handelt sich, falls ich das richtig verstanden habe, um ein (altes?) Museum. Pluspunkt: Balkon.

Ester hat angeboten, mich vor der Laaaangeweile zu
retten und mit mir und noch irgend jmd. von Samstag
bis Mittwoch einen Ausflug nach Varanasi (ganz dolle
heilig) am Ganges zu machen. Wenns klappt, waere das
echt toll. Ich erinnere mich an Allmuths Worte, die
meinte, dass die Inder dort so mit sich selbst
beschaeftigt waeren, dass man endlich mal aufatmen
koenne. Klingt gut.

Das Traineedinner gestern war toll. Ein Nobelrestaurant. Ich habe mir den Magen vollgeschlagen und circa 3 Euro bezahlt... Danach ging es noch in eine Bar (richtig mit Alkohol) und Tanz, Tanz, Tanz!!!!

Das tolle an AIESEC ist, dass man junge Menschen von
der ganzen Welt kennenlernt: Deutschland (ein Dutzend), Holland, Spanien, Portugal, England, Rumaenien, Philipienen (falsch geschrieben! im
uebrigen klemmt wie imer die Tastatur), Mexiko,
Indien, Polen, USA, Neuseeland. Das beruhigende ist,
dass die Englisch-Muttersprachler auch ihr Probleme
haben, die Inder zu verstehen. Jedenfalls lernt man so die Partykulturen der ganzen Welt kennen.

Aber jetzt weiter im Text, sonst schaffe ich es nicht
mehr, von meiner Ankunft in Jaipur zu berichten, bevor ich die Stadt auch schon wieder verlasse und auf dem Weg nach Varanasi bin.

Zunaechst fuehlte ich mich etwas unbehaglich mit den
fremden Menschen, aber dann bin ich schnell aufgetaut,
weil wir wirklich ein tolles Gespraech gefuehrt haben. Natuerlich Hauptthema: Indien und Deutschland im Vergleich. Die Stellung der Frau, die Politik, die
Religion, die Wendezeit in Deutschland, der
Kaschmirkonflikt, Bollywood, Schnee, der ploetzliche
Sonnenuntergang in Indien (als haette jmd. das Licht
ausgemacht), gruene Wiesen in Deutschland, Bratwuerste und, und, und. Ich habe viel ueber die indische Kultur erfragen koennen und die drei (die Brueder und Himanshu) waren mindestens genauso neugierig. Wir haben gut diskutiert, gelacht und einfach geplaudert.

In indischen Zuegen kommt so circa alle zwei Minuten
jmd. vorbei und will dir Tee, Wasser oder Essen
verkaufen. Die Maenner haben staendig Sachen gekauft
und mir erklaert, das ich alles kosten muesse. Dann
haben sie sich halb tot gelacht, wenn mit vor Schaerfe fast die Zunge weggeflogen ist. Der aeltere Bruder sah in mir (!) die Chance, ein Standbein nach
Deutschland zu bekommen. Kontakte. Lebenswichtig in
Indien. Er will irgendwas expandieren. Nur was und an
wen? Ob ich nicht helfen koenne?
Ebenso Himanshu. Er betreut traditionell-indische
Taenzer und will mit ihnen auf Tour. Gibt es kein
Tanzfestival, das ich kenne? Keine Kontakte?
Mir viel nur die Euroscene ein. Aber die ist ja
eigentlich fuer Europa...
Man, bin ich kontaktlos.
Indien ist das Land, fuer das Gott die Visitenkarten
erfunden hat. Jeder will mit mir seine Adresse
tauschen. Den drei aus dem Zug habe ich meine richtige email-adresse egeben. Ansonsten schreibe ich immer eine falsche auf.
Sie wollen mein Horoskop erstellen. Hier geht gar
nichts, ohne die Zustimmung der Sterne. Geschaeftliches wie Privates) Darum die Frage:
Datafbyrt. (Date of birth) Ja, so ist indisches
englisch....

Mit Schrecken habe ich festgestellt, dass mein
Sitzplatz fuer das oberste Bett galt. Keine Leiter.
Eine Null in Sport...Inder sind flexibel. Entspannen
sich, waehrend sie sich verknoten.
Aber auf meine Reisebegleiter war Verlass. Ohne, dass
ich was gesagt haette, haben sie mit mir getauscht.
Uebrigens habe ich super geschlafen.

Der Zug hatte auch nur eine Stunde Verspaetung. Auf
dem Bahnhof verschwanden die drei dann ganz schnell,
aber gaben mir ihre Nummer. Falls was nicht in Ordung
sei, ich die Stadt sehen wollte etc. Himanshu will mir seine Taenzer zeigen und mich mal in die Proben
luchsen lassen. Er wuerde sie auch fuer die AIESECER
auftreten lassen. Kontakte in die weite Welt. Klar.

Dann begann das Warten. Und hoerte sieben Stunden lang nicht auf. Siddharth, der mich abholen sollte, war puenktlich am Bahnhof gewesen. Nur der Zug eben nicht.
So ergab ein dummer Zufall den naechsten und im
Endeffekt habe ich den Tag auf dem Bahnhof verbracht.
Habe mich aber ueberhaupt nicht gelangweilt. Das geht
als weisse Frau in Indien auch nicht. Zunaechst habe
ich mir von den Rikschafahrern zeigen lassen, wo man
telefonieren kann. Da sie sehr freundlich waren,
obwohl ich ihnen versicherte, dass mit mir kein
Geschaeft zu machen sei, da ich abgeholt werden
wuerde, habe ich mich etwas mit ihnen unterhalten.
Einer holte ein Notizbuch hervor, in das kuerzlich ein paar deutsche Touristen etwas hineingeschrieben
haetten. Ob ich das nicht uebersetzen koennte.
Die Touristen stammten aus Padderborn, betrieben dort
einen Indiladen und hatten sich mit Rahul, dem
Rikschafahrer, angefreundet. Der Brief war ein grosses Dankeschoen, ein Loben und eine
Freunschaftsverkuenigung. Es hat Spass gemacht, ihn zu uebersetzen, weil Rahul einerseits ganz geruehrt wurde und ich andererseits das Gefuehl bekam, vor mir stand der beste Mensch Indiens. Zumindest hatte ich
Vertrauen gefasst, so dass ich die Einladung zum Tee
ein Haeuschen weiter auch nicht ausgeschlagen habe.
Der Tee hier ist Weltklasse und gehoert mit zum
besten, das ich bisher gekostet habe. (Wobei der
Kaffee in Bosnien auch echt gut ist. Gruss an
Stefan.)Dann haben sie mir noch ein paar gelbe Kugeln
angeboten. Eine Suessigkeit. Lecker. Ich haette bloss
gerne selber bezahlt, aber das war nicht drinn.

Ihr muesst euch also vorstellen:
Juliane, sowie Julianes Riesenruckzack (samt
baumelnden Meki-Teddy und Susann-Anhaenger) und ein
Dutzend Rikschafahrer (der Verkehr war lahmgelegt)in
einem kleinen cafeaehnlichem Etwas. Es war sehr nett.
Der eine Rikschafahrer leitet eine Schule fuer arme
Kinder und vermittelt auch Patenschaften fuer diese.
Als ob ich es ihm anders nicht glauen wuerde, muss ich mit einer hollaendischen Praktikanten telefonieren.
Sie ist auch 23 und ganz begeistert. Ich koennte auch
anfangen, wenn ich wollte. Gut zu wissen, denn noch
hatte ich ja kein Praktikum in der Tasche.
Er tat das aus einem einleuchtenden Grund: Karma.
Rettung vor der indischen Hoelle durch die Bekaempfung der indischen Hoelle. Aendert es etwas, wenn Menschen etwas wirlich Gutes tun, und dabei doch irgendwie an sich denken? Gluecksprinzip?
Abchliessend bekam ich ihre Nummern (natuerlich) und
den Rat, dass es in Indien auch schlechte Menschen
gaebe und ich auf mich aufpassen sollte...

Die restlichen Stunden verbrachte ich im Wartesaal des main gate. Die Rikschafahrer kamen ab und zu vorbei und schauten nach mir. Die indische
Hockeynationalmannschat fuer Kinder, gerade auf dem
Weg nach Holland, wollte eine Einfuehrung ueber Europa und ein Foto mit mir. Die Baskettballmannschaft war da schon audringlicher. Pubertierende Jungs. Erklaerung ihrerseits: Junge ist man bis 25, dann ist man ein Mann und sollte heiraten. Fuer Frauen lag die Grenze bei 21. Wer aelter und noch nicht verheiratet war, war
Frischfleich. Sie gingen mir ganz schoen auf die
Nerven und wollten mir natuerlich alle den Gefallen
tun, mich zu heiraten. Teilweise war es aber auch
interessant. Einige hatten zum Beispiel Freundinnen,
aber die Eltern durften das nicht erfahren. Die
Hochzeiten waren schon anderweitig geplant. Einer war
ungluecklich, weil sein Vater ihn zwang, Politiker zu
werden. Hitler ist ein toller Mann. (Danke Nikos fuer
die Erklaerung.)Und Pubertierende sind in jedem Land
anstregend.

Was noch: Eine Kuh im Wartesaal, Tauben auf dem
Fernseher und spaeter ein uniformierter Mann mit einer Holzkeule, der alle Maenner von mir fern hielt.
Dann kam Sid und holte mich ab. Seitdem wohne ich bei
ihm und schlafe auf einer Art Holztisch mit einer
duennen Unterlage. Deshalb schlafe ich immer erst
gegen drei, vier ein und habe maechtige Rueckenschmerzen bekommen. Ihr wisst ja..Ich bin die
Prinzessin auf der Erbse. Drueckt mir die Daumen, dass ich ab heute weicher schlafe.

Ganz liebe Gruesse und habt dank fuer eure tollen
mails. Ich denke an euch,
Juliane

P.Ses.
Rike: Schoen, dass es gut angefangen hat. Erinner mich an die Redaktion, aber glaube nicht, dass wir was liegen gelassen haben.

Doerte: Klingt super. Ich freue mich tot, wenn du
wirklich kommst!

Nikos: Was liest denn nun die Leserunde in diesem
Semester? Liebe Gruesse an alle.

Bjoern: Ich denke schon, dass ich da Zeit habe. Freue
mich darauf, deine Stimme zu hoeren.

Robert: Wann geht|ging es bei dir nochmal los. Gib mal einen Lagebericht.

Ralf und Rainer: Danke fuer die lieben Worte!

Tim: Dir auch danke fuer die Aufmunterung und gut,
dass auch du wieder Mut hast.

an alle: euch einen goldenen Herbst. (Ausreisser
ausgenommen) Ich finde es Wahnsinn, wie ihr an meinem
Schicksal hier teilnehmt.
Eure Juliane

6. Sids goldener Käfig und Hitler

Juliane Kruppke schrieb am 05.10.05 11:31:11:

Auf euch ist echt Verlass!
Danke fuer die 13 netten mails, die mir heute den Tag
versuesst haben. Ich bin ein Haustier geworden.
Derzeitig haenge ich in Sids Wohnung rum und habe
nichts zu tun. Er schlaeft staendig oder spielt
Counter Strike. Sid ist der AIESECER bei dem ich zur
Zeit noch untergebracht bin. An euren emalis konnte
ich erkennen, dass ihr grad keine richtige Einschaetzung ueber mein Leben habt. Ums kurz zu
sagen: Langeweile! Noch kuerzer: Gaehn!! Darum heute
der Exkurs Sid, bevor es weiter mit dem Zug in
Richtung Jaipur geht, wo ich wohl die naechsten Monate
vebringen werden.

Sid:
Er sieht aus wie 19, ist er vielleicht auch. Darum
sehe ich ihm Vieles nach. Er ist nett, hilfsbereit und kindlich. Er erklaerte mir, dass er sich sein Leben nicht versauen will, indem er ueber ernste Themen nachdenkt. Er hat sich sexy Fotos von Hollywoodstars auf den Rechner gezogen und versteht nicht, warum er mich damit nicht beeindrucken kann. Sid will Spass und nie erwachen werden. Seine Lebensziele:
Partys, viel
Geld, ein grosses Haus und eine schoene (Haus-)Frau.
Schoenheit zaehlt weitaus mehr als Intelligenz.
Materialistisch? Offensichtlich! Aber fast
verstaendlich in dieser Gesellschaft, in der man jeden Tag sieht, was einem auf der andere Seite des
Geldbeutels erwartet. Als Frau wuerde ich hier auch
zusehen, woher ich schnellsmoeglichst den roten Punkt
auf meiner Stirn herbekomme, sprich heiraten, damit
mich die Maenner in Ruhe lassen. An alle deutschen
Maenner: Man habt ihr an Wertung bei mir gewonnen...
Siddharth ist ein Stubenhocker, Computerspieler,
Mainstream-Musik-Hoerer, Markenklamottenschaetzer und
Muttersoehnchen.
Letzteres scheint fuer Indien typisch. Die meisten
Studis wohnen noch zu Hause, haben einen Zapfenstreich und sind total verwoehnt. Sie koennen ihre Waesche nicht alleine waschen, aber sind super im Befehle erteilen an die Haushaelterin, die nicht am Tisch sitzen darf und auf dem Boden in der Stube
schlaeft...Leider spricht sie nur Hindi, denn mit ihr
haette ich gerne mal geplaudert! Da Sids Vater oft
geschaeftlich unterwegs ist, schlaeft Sid meistens mit bei seiner Mutter im Bett...
Da hocke ich also den ganzen Tag in seiner Bude. Ein
goldener Kaefig. Ventilatoren und Ruhe, waehrend jeder Weg allein nach draussen ein Abenteuer und anstrengend ist. Allein gehe ich nicht so gern raus, aber zur Zeit gehe ich vor langer Weile die Waende hoch, da das Praktikum von Christine, der Regensburgerin, die auch dort wohnt, bereits angefangen hat. Gemeinsam mit ihr habe ich mir hier Vieles angeschaut.
Wie z.B. den Amber-Palace. Das nenne ich mal einen
Palast. Dort auch: Waende mit Guckloechern fuer die
Hofdamen. Damit sie niemenad sah, aber sie trotzdem am Strassentreiben teilhaben konnten. Auch ein goldener Kaefig. Mein Guckloch ist ein Geschenk von Uta...Danke an dich! Ich lerne Indien gemeinsam mit Salman Rushdie und den Mitternachtskindern eingesperrt in mein kleines Zimmer kennen. Wenn das so weiter geht, brauche ich fuer das Buch nur eine Woche.

Meine Hoffnung: AIESEC. Zum einen fuer Sid, der
vielleicht durch den Einfluss anderer Kulturen und
eigener Reisen seinen Horizont erweitert und einen
Wertewandel erreicht und zum anderen fuer mich. In
Jaipur haben die AIESECER Traineehouses gemietet. Also ganze Etagen oder Haeuser fuer die Prakikanten, junge Menschen aus der ganzen Welt. Die gleichen Probleme, neue Freunde, Gemeinschaft, Partys. Heute abend ist ein Traineedinner. Jeden Mittwoch gehen die Trainees zusammen in ein anderes Restaurant. Endlich andere Menschen. Erachsenere als Sid, der nicht versteht, warum es wichtig ist, ueber Politk informiert zu sein.
Leider hat er (verstaendlicherweise :)) einen Narren
an mir gefressen und wuerde Christine und mich gern
behalten...als schoene Haustiere und Rufabfreunde in
seinem Haus. Bald kommt seine Mutter wieder und er
versteht nicht, warum ich lieber in ein Traineehaus
moechte, statt zu bleiben, wo ich umsorgt, bekocht
usw. werde. Kann es ihm auch schlecht sagen, ohne ihn
vor den Kopf zu stossen. Darum heute die Chance. Muss
mich irgendwie so super mit den anderen Trainees
verstehen, dass das als Argument zieht.
imm089_33A-2
Ach, und dann noch was ueber die Inder: Sie lieben
Hitler und ihnen das auszureden, ist vergebliche
Liebesmueh. Auf der Sightseeing-Tour will sich der
Vater der indischen Mitreisefamilie einschmeicheln,
lacht und sagt Germany, Hitler, Hitler. So laut, dass
sich mir die Gedaerme zusammenziehen. Es ist die
gaengige Meinung, dass Hitler ein grosser Fuehrer war, der das Land unter sich einigte (dann doch lieber ne grosse Koalition), der Wirtschaft zum Aufstieg verhalf, mit den Indern befreundet war (?) und sichdurchsetzen konnte. Nach vielen Diskussionen mit Indern, aus denen ich immer unverstanden und wuetend herausging, glaube ich zu verstehen, dass dieser Schwachsinn auf dem Klassendenken beruht. Daran glauben sie. Arier, eine Herrscherklasse. Warum nicht?

Wer in einer unteren Klasse ist, hat es nicht anders
verdient. Karma. Darum keine Revolution, kein
Aufbegehren des "Poebels". Darum Verstaendnis fuer
Hitler. Zum Kotzen!!

Was sonst noch? Inder haben eine coole Kopfbewegung
drauf. Ein Nicken nach rechts und links, das aussieht, als ware der Kopf nicht recht fest. Das bedeutet alles moegliche wie ja, vielleicht, o.k., wenn du meinst, und auf keinen falls heisst es nein. Aber wenn man einem Inder eine Ja-Nein-Frag stellt und bekommt als Antwort dieses Kopfzucken, dann macht einen das wahnsinnig. Die Inder empfinden die Deutschen dafuer als agressiv, geradeheraus, aber andersherum ist es auch kein Zuckerschlecken.

Indien aendert sich. Langsam, gaaanz langsam. Das
Fernsehen spiegelt eine Realitaet wieder, die es nicht gibt. Sexy Saris und westliche Kleidung. Die Maenner sehen das gern, aber nicht an ihren Frauen. Ich verstecke meinen Koerper in weiten und viel zu warmen Klamotten, sehne den Winter herbei (es werden bis zu 10 Grad) und werde trotzdem staendig angmacht – weil ich so hell bin. Was ich sonst echt noch niemlas zu hoeren gekriegt habe. Sonst gelte ich immer als dunkel. Immerschon. Und nun das Kontrastprogramm. In Indien steht nunmal alles aufm Kopp.

Das wars erstmal von heute. Danke nochmal fuer die
tollen mails und dass euch scheinbar die Laenge der
Texte nicht schockt und abschreckt.
Werde mich jetzt weiter langweilen. Plane fuer die
naechsten Tage aber einen Ausflug nach Pushkar (ein
heilger Ort) und einen zum Schmuckmarkt. Habe blos
gerade keine Nerven fuer diese Maenneransammlungen.
Hier kommen uebrigens laut Rikschafahrer 250 Menschen
auf einen Quadratkilometer...
Ich vermisse euch. Schreibt mir, von dem Leben im
weitentfernten Deutschland, von Heizungen,
Hausarbeiten, Dokwoche und und und. Hab ein bissel
Heimweh. :(
Eure trotz allem reisebegeisterte Juliane

7. Endlich angekommen

Juliane Kruppke schrieb am 07.10.05 10:02:14:

Hallo Freunde,
ihr haengt. Jawohl. Zumindest der Grossteil von euch
haengt nun in der Ajmer Road in Jaipur ab. Genau ueber meinem Bett. Ein guter Platz zum Abhaengen.
Bin gestern umgezogen, habe nun eine feste Adresse,
die ich euch mitteile, sobald ich dran denke, sie
einzustecken.:) NZ-Esta ist toll. Wir hatten ein paar
Bier auf dem Balkon. Sie hat einen Pool in einem Hotel ausgemacht, so dass wir naechste Woche schwimmen gehen. Yes!!
Auch sonst kennt sie sich bereits super aus. Leider ist ihr Praktikum schon Mitte November vorbei. Uebrigens herrscht in NZ gerade absolut dieselbe polit. Situation wie in Deutschland. Der Balkon ist riesig. Das Zimmer, das wir uns teilen auch. Hell und freundlich. Ich fuehl mich pudelwohl!
Eigene Kueche, grosses Bad und wieder ein Tisch-Bett,
aber weitaus weicher. (@Anne: Kopfkissen sind Luxus,
aber zufaellig habe ich eins gekriegt. Danke.)
Ich werde bekocht, dreimal taeglich und speise mit der ganzen Familie. Einer christlichen. Noch genauer:
einer protestantischen...Der Hammer, oder? Habe das
Gefuehl, Gott hat mich mal eben vom Spielbrett
gehoben, als ich das Gefuehl hatte, den Boden unter
den Fuessen zu verlieren, nur um mich dann zielsicher
im christlichen Viertel abzusetzen. Bin gespannt, wie
sich der Gottesdienst vom deutschen unterscheidet.
Werde berichten.

Varanasie wird wohl leider nix. Der Zug ist voellig
ueberbucht. Ein Sitzplatz waere noch drin, aber die
ganze Nacht...Vielleicht fange ich dann schon frueher
mit arbeiten an. Aber jedenfalls bin ich von Samstag
bis Mittwoch gaaanz allein...(Heul, Schluchz, und vor
allem grusel!)
Mehr darf ich nicht schreiben, da Rosi sonst aufhoert, mich Zuckerschnaeuzchen zu nennen, und das will ich nicht riskieren.
Juliane

P.S. Eindruecke auf dem Weg zum Cybercafe: Zwei Kuehe
mit Heiligenschein natuerlich, sowie Frauen in
wunderschoenen Saris, die mit Spitzhacke die Strasse
aufrissen. Ich dachte immer, Arbeit sei fuer Maenner?

P.S. Martin: Sobald ich hier ein Leben habe, hoeren
diesen endloslangen mails auf und ihr hoert wochenlang nichts mehr von mir. Versprochen!

9. Emergency Ticket

Juliane Kruppke schrieb am 13.10.05 09:59:34:

Hallo liebe Lesenden,
meine neue Adresse lautet:

Juliane Kruppke
c|o Deepak Andrews
West Mission House
Mission Compound
Ajmer Road
near Ajmer Bridge.

Nein, keine Zahlen. Ich vermute, dass ein zu logisches System die Inder nur verwirren wuerde...
Ich schreibe euch die Adresse nicht, um irgendwelche
Westpakete abzufassen. Die Zeit ist vorbei. Ausserdem
ist das schweineteuer, oft ohne Ankommen verbunden und die Haelfte des Inhalts verschwindet auch haeufig auf mysterioese Weise...Nein, ich schreibe euch, damit ihr wisst, wo ihr mich finden koennt, falls ihr Lust auf einen Tapeenwechsel habt. Das Zimmer ist riesig und es gibt eine Gaestematratze...Ausserdem weiss ich, wo man hier Bier kriegt...

Aber des Anreizes genug, nun noch die Warnung in kurz: Das wird lang!!
Ich habe heute naemlich nichts anderes zu tun , als im Cybercafe rumzuhaengen. Trifft sich ganz gut, da ich einiges erlebt habe. Da ich ab morgen arbeite, wird das eventuell die letzte Mammutmail. Versprechen kann ich es aber nicht...

Zunaechst mal ueber Esta:
Ich hab sie total gern. Sie redet mit british-neuseelaendischem Akzent, wiederholt staendig Woerter wie that sucks, get pissed, fuck etc. und ist unglaublich selbstbewusst. Sie kennt sich total gut
aus und hat mich in ein gutes Hotel geschleppt (Pearl
Palce), das bei uns um die Ecke ist (ein Zimer 150
Rupien) und von dessen Dachterassenrestaurant man
einen unglaublich schoenen Blick ueber die Lichter der Stadt hat. Das Essen ist super lecker und wer mehr als zwei Euro veressen kann, muss einen Elephantenmagen haben. Dort hat sie mir die anderen Praktikanten von I-India vorgestellt, die sie rein zufaellig kennt. Zwei Schwedinnen oder waren die aus Finnland ? und zwei daenische Maedels. An dem Abend waren wir eine riesige Gruppe aus lauter Backpackern aus sovielen Laendern, dass ich die Uebersicht verloren habe. Jedenfalls waren die Maedels sehr nett, haben mich sogar gefragt, ob ich zu ihnen ziehen will und ich denke, es wird schoen, mit ihnen zu arbeiten.
Naechste Woche will mich Esta in ein anderes Hotel
schleppen, wo es einen Pool gibt...Wenn ich mir
vorstelle, dass ich dieses Jahr an meinem Gebutstag
unter freiem Himmel im Bikini...Unglaublich!

Ein gutes Beispiel, um zu zeigen, wie Esta tickt, ist
die Story vom Emergency-Ticket:
Spontan hatte ich mich dazu entschlossen, Esta und
Karla (Kanada) nach Varanasi zu begleiten. Zu spontan. Aufgrund des indischen Festivals und der damit verbundenen Feiertage war der Zug ausgebucht. Ohne Ticket fuhr ich wieder nach Hause, woraufhin Esta wieder mit mir zum Bahnhof fuhr.
Lange Schlange. Warten. Dann: Ausgebucht! Esta fragt
nach der Tourist Quota. Das heisst, dass ein bestimmtes Kontingent fuer Touristen vorgesehen ist
und solange das nicht voll ist, bekommt man als
foreigner ein tickt. Doch nach Varanasi gibt es keine
tourist quota.
Esta stuermt das Buero des managers. Ueberraschung:
Eine Frau. Varanasi sei kein Touristort. Esta fragt
nach der Emergency Quota. Die Frau (pissed) hasst uns
augenblicklich und gibt nur sehr vage und widerwillg
Antwort. Zunaechst brauchen wir ein Wartelsitenticket.
Wieder anstellen. Es dauert. Ich kaufe ein
Wartelistenticket (Platz 67). Dann Suche nach dem
Buero fuer die Emergency Quota. es ist heiss. sehr heiss. Wir laufen die strasse entlang, der schweiss an uns herab. fragen uns durch.
unterschiedliche richtungsangaben. alle paar meter
will uns ein anderer rikschafahrer mitnehmen. nein,
danke. endlich: ein grosses, wichtig aussehendes gebaeude.
wir betreten es einfach so. Esta ist nicht aufzuhalten. Sie betritt ein buero. fragt nach der
emergency quota. naechstes buero. das gleiche spiel
noch einmal. Und schliesslich:
Habt ihr mal die Muppetweihnachtsgeschichte gesehen?
Diese kleinen Rattenschreiberlinge oder was das fuer
Tiere sein sollen? Genauso einen Raum betreten wir.
Papier, Hefter, Ordner stapeln sich an den Waenden bis zur Decke. In der Mitte sitzen lauter Menschen an
kleinen Tischen und schreiben, kritzeln fleissig, so
emsig, dass sich an uns keiner stoert.
Emergency Quota?
Man reicht uns ein blatt Papier. Ein kleiner Wisch.
Name des Zuges, Zugnummer, mein Name (gleich dreimal
erfragt), name des Vaters oder Ehemannes (natuerlich,
wie immer, Paps, du stehst mittlerweile auf
unzaehligen indischen Formularen)usw.
Emergencygrund: Tourism.
Wir geben das Papier einer der Schreibfrauen. Sie
nimmt es an sich und schreibt weiter...
Wir sind verwirrt. Bin ich im Zug? Die Frau sagt ja.
Ich kriege weder ein Schreiben, noch einen feuchten
Haendedruck. Da solls gewesen sein? Habe nur das
Wartelistenticket.
Naechster Tag steht mein Name nicht auf der
Passagierliste. Karla und ich gehen ins tourist
office. Ein Anruf. Ja, alles klar. schliesslich finde
ich meinen Namen auf den am Zug aufgeklebten Listen.
Wir sprechen mit dem Schaffner und tauschen ein wenig
die Plaetze, damit wir in einem Waggong sitzen. Ich
bin tatsaechlich auf dem Weg nach Varanasi. Das
indische Zugsystem: Es bleibt ein Raetsel, ein Mythos.

Ebenso wie es fuer mich unerklaerlich bleibt, warum
die Inder eine Zugverspaetung von 9 Stunden und fuer
uns somit eine Fahrt von 27 Stunden einfach so
hinnehmen. Ohne Erklaerung. Einziger Anhaltspunkt: Es
hat nach brennendem Gummi gestunken. Wir haben uns die Zeit mit Rommeespielen (man, hab ich verloren) und mit Gulf (oder so aehnlich) spielen vetrieben. Auch meine Mitternachtskinder haben mich begleitet und Karla reiste mit Stephen King an ihrer Seite:
Desperation(schon gelesen). Wir verstanden, was der
Titel bedeutet. Zeitweise haben wir uns von
Mangobonbons und pinken Erdbeerkeksen ernaehrt. Da hat dann aber mein Magen den Geist aufgegeben. Durchfall.
Koennt ihr euch vorstellen, wie nach einem Tag
Zugfahrt, die Stehklos aussehen? Oder riechen? Seid
froh, dass die Antwort nein heisst...
Soviel zu dem Spass, den wir im Zug hatten.

Jetzt muss ich zum Mittag. Ausserdem ist Esta krank,
zu Hause und langweilt sich vermutlich. (Ich bin auch
total erkaeltet.) Aber vielleicht schreibe ich euch
heute Nachmittag noch mehr. Vielleicht, denn Varanasi
war toll.
Habe heute die ersten Fotos abgeholt. Das Entwickeln
kostet mich genausoviel wie zu Hause. Ebenso die
Filme. Also ein indisches Vermoegen. Waren es aber
wert...Ihr werdet sie zu sehen bekommen.
Heute Abend ist wieder traineedinner angesagt. Ich
freue mich schon.

Bis bald,
eure Julianna (meinen richtigen Namen kriegt hier
keiner ausgesprochen)

8. Total unpersönliche Postkartenemail

Juliane Kruppke schrieb am 11.10.05 05:07:38:

Hallo ihr Lieben da draussen, mir gehts super. Ich habe mein erstes Erdbeben verduscht, also gar nicht mitbekommen, dass alle panisch aus dem Haus gestuerzt sind. Es war aber wirklich nicht aufregend in Jaipur.
imm057_30
Zur Zeit bin ich aber in Varanasi. Wie das doch noch
zustande kam und was ich so erlebt habe...Ihr werdets
lesen koennen, muessen, duerfen?! Aber nicht jetzt.
Das soll nur ein kleines Lebenszeichen und ein
Vorgeschmack sein:
Emergency-Ticket
27 Stunden Zugfahrt
Lassi und Pan Cake
Plopp von berstenden Schaedeln
heilige Kuhscheisse

Ja, so laesst sich das ganz gut zusammen fassen. Ich
ignoriere jetzt mal eben all eure persoenlichen mails, freue mich aber immer unglaublich ueber eure Post und dass es euch gut geht. Ich beneide euch um den goldenen Herbst! Muss mir jetzt aus Gruenden, die ihr noch zu hoeren bekommen werdet, einen neuen Rock
kaufen. Ich vermisse euch, aber versuche Indien zu geniessen,
eure Juliane

P.S. Elmar und Tersa: Liebe Teresa, danke, dass du dir eine email-adresse zugelegt hast. Lieber Elmar, danke fuers Weiterleiten. Ich denke oft an euch und eure Kleinen. Schade Elmar, dass du nicht mit ins Konzert konntest. Tut mir leid. Hab bei den Terminen nicht aufgepasst. Uebriegens schaetze ich, dass es der zwickende Schluepfer war...

11. B und G und SEX

Juliane Kruppke schrieb am 17.10.05 14:56:07:

Hallo treue Leserschaft,
ich weiss schon, ihr wollt alle nur wissen, was sich
hinter B ung G verbirgt, aber ich muss euch
enttaeuschen:

Ich fange mit dem Sex an.
imm071_28-0
Habe heute morgen Zeitung gelesen:
zitiert wurde das Geo Wissen Magazin Deutsche haben in ihrem Leben 6 Wochen Sex, davon 16 Stunden Orgasmen, nehmen sich aber nur zwei Wochen
fuer religioese Dinge Zeit....
Wenn soetwas auf der ersten Seite steht, verwundert es mich gar nicht, wenn mich immer alle so anstarren... Meine indischen Freunde wollen wissen, ob das stimmt. Was meint ihr?

Ausserdem News:
Eine Frau wurde vergewaltig und deshalb von ihrem
Ehemann verlassen. Schliesslich hat sie mit einem
anderen Mann geschlafen. Das passiert haeufig und war
mir durchaus bekannt. In diesem speziellen Fall muss
die Frau ihren Vergewaltiger aber heiraten.
Schliesslich hat sie mit ihm geschlafen.

Ich habe heute zum ersten Mal korpulierene Schweine
gesehen. Igitt! Ich habe mal gelesen, dass ein Schwein 30 Minuten lang einen Orgasmus haben kann. Also wenn das so ist, haben die beiden irgenwas falsch gemacht.

Ihr muesst denken, dass ich Indien nicht mag. Das
stimmt nicht. Ich schreibe euch nur immer die
erschuetternen Dinge, weil eben gerade diese mich
erschuettern. Ich sage das an dieser Stelle, weil sich jetzt bald der B und G - Teil anschliesst.
Achtung Wiederholung: Ich mag Indien, bin froh hier zu sein und bereue es ueberhaupt nicht, dass ich
hergekommen bin.


B und G
2
I-India widmet sich verschiedenen Projekten. Einige
habe ich schon kennengelernt. Spaeter soll ich
entscheiden, was ich am liebsten machen will. Alle
Projekte sind toll und sinnvoll.
5
Heute war ich mit einem kleinen Bus in den Slums.
"education on wheels". Leider konnte ich kaum helfen,
da ich kein Hindi spreche. Alles, was ich konnte, war
einfach nur der Versuch, nicht zu weinen. Achtung
Philosophie: Ist euch schonmal aufgefallen, dass es im Leben meistens die traurigsten Momente sind, in denen man am lautesten lacht? Die Kinder haetten sonst was fuer ein Lachen von mir gegeben und ich habe sie nicht enttaeuscht.

Diese Kinder haben nichts, ausser vielleicht
Krankheiten. Sie haben keine Kleidung, wenn dann
hoechstens dreckige Lumpen. Sie betteln um Haarshampoo. Was total nachvollziehbar ist, wenn man
sie sieht. Sie haben Hautaussatz. Sie haben Hunger.
Was sie nicht haben: eine Zukunft!
Immerhin bringen wir ihnen Schreiben, Lesen und
Rechnen bei. Es gibt einige, die wirklich fleissig
sind. Sie schnapen sich ihr Uebungsheft und rechnen
tatsaechlich. Es sind Kinder. Mit einer Gott gegebenen Froehlichkeit. Man schliesst sie sofort ins Herz. Und das blutet darum um so mehr.
Viele der Kinder, vielleicht sieben Jahre, schleppen
Babys mit sich rum und kuemmern sich mehr oder weniger liebevoll um diese. Allgemein ist der Tumult so gross, dass viele gar nicht zum Lernen kommen. Und ueberall die Fliegen, trinken von ihren Augen, verschwinden in ihren Nasenloechern.
Trotzdem geht die Essensverteilung total gesittet
voran. Es weiss ja jeder, dass er was kriegt.
Natuerlich erst nach der Schulstunde. Diese wird im
Schatten auf einer zerrissen, staubigen Decke
abgehalten. Mehr als eine Stunde gibt es nicht pro
Halt. Die Slums sind gross.
winken
Ich meine, nun bin ich ja nicht bloed. Die Welt ist
ungerecht. Arme Menschenh leben in Slums. Das ist mir
nicht neu. Und euch auch nicht.
Erinnert ihr euch an den Anfang des Irakkrieges? Ich
weiss noch, wie sehr sich alle aufgeregt haben. Sind
auf die Strasse gegangen, haben Druck gemacht. Und
dann kam er trotzdem und die Sonne schien. Natuerlich
ist man spazieren gegangen. Natuerlich hat man das
Wetter genossen. Sicher hat man sich auch gewundert,
wie alles so schoen sein kann, wenn woanders Menschen
sterben. Wie es eben immer ist.
Ich weiss schon, keine neuen Gedanken fuer euch. Keine neuen Infos.
Der Mensch muss verdraengen. Nicht immer, aber doch
genug, um ein normales Leben fuehren zu koennen. Nur
dass es mir hier so verdammt schwer faellt, zu
verdraengen. Aus den Augen aus dem Sinn, aber hier
habe ich die Armut staendig im Blick. Sie lauert am
Strassenrand, hinter jeder Ecke.
zuletzt
Und was mache ich jetzt? Verdraengen! Meine
Gast-Familie schmeisst mal wieder ein Dinner.
Ausserdem bin ich zu ner AIESEC-Party ins Cafe Kuba
eingeladen. Von den Maedels, die ich gestern am Pool
(Benutzung 3 Euro)in dieser "teuren" Hotel-Oase
getroffen habe. Begruent, mit stolzierenden Pfauen und Massage auf Bestellung. Da war ich, nachdem ich mich mit ein paar Leuten in einem anderen Hotel zum Brunch getroffen habe.
Das war mein gestern, so sah mein heute aus und morgen fahre ich noch einmal in die Slums. Weiterlaecheln.

Eure Juliane
1
P.S. B und G, weil ich einem Maedchen heute das
B-Scheiben und einem das G-Schreiben beigebracht habe.
P.P.S. Liebe Anne, hast du meine
Estutmirsoleidallesgutenachtraeglichgeburtstagssms
bekommen?

10. Von Kühen und Varanasi

Juliane Kruppke schrieb am 14.10.05 14:49:21:

Hallo Rasselbande,
hab mich im Datum geirrt, was ja passieren kann, wenn
man so dahin lebt, soll heissen: Hab erst morgen
meinen ersten Arbeitstag. Da unser Badezimmer derzeitig aufgeruppt wird (35 Grad und keine
Dusche...), habe ich dennoch fluchtartig die Wohnung
verlassen und bin mit Esta zu ihrer Schule gefahren.
Waehrend ihres Praktikums kuemmert sie sich um
behinderte Kinder. Es war sehr beeindruckend, zumal
ich bisher selten Umang mit geistig behinderten
Menschen hatte. Karla, die auch dort arbeitet, hat
heute zufaellig Kanada vorgestellt, weshalb ich gleich noch was gelernt habe.
Das einzig negative war, dass viele Betreuer den
Kindern schonmal eine runtergehauen haben. Esta meint, das sei in Indien gang und gebe, aber falls ihr jemals die Hand ausrutscht, schmeisst sie die Arbeit hin. Na Schwesterherz, rate mal, an wen ich heute den ganzen Tag gedacht habe...

Soviel zu meinem heutigen Tag. Euch ist ja eigentlich
der Varanasitripp versprochen, aber mir gehen heute
die Kuehe nicht aus dem Kopf. Von der Rikscha aus habe ich heute folgende Tiere (im Strassenverkehr) gesehen: Hunde(einer mit Schaum vorm Mund und gefletschten Zaehnen munter vor sich hinknurrend), Ochse mit angemalten Hoenern, Kamele, Elefant und wie immer Kuehe, Kuehe, Kuehe.
imm052_35-0
Meiner Meinung nach wuerde eine herkoemmliche deutsche Kuh auf Indiens Strassen an Herzversagen sterben, sobald sie den Verkehr erblicken wuerde. Nicht so die indischen.
Diese koennen sogar auf der Strasse schlafen. Jetzt fragt ihr euch sicher, wovon ernaehren die sich ueberhaupt? So im Grossstadtdschungel noch dazu in einer Wuestenstadt..Die Antwort lautet ganz einfach: Vom Muell.
Der liegt hier ueberall herum. Vom Zug aus haben wir eine Haeuserfront gesehen, vor der in circa zwei Meter Entfernung eine kleine Mauer entlang lief. Hinter der Mauer stapelte sich der Muell meterhoch. Wir habe sogar gesehen, wie die Leute aus ihrer Haustuer traten, einen Muellbeutel in der Hand
schwingend und ueber die Mauer werfend...Koennt ihr
euch vorstellen, wie das in dieser Hitze stinkt?

So gesehen bedarf Indien seiner heiligen Kuehe, die
fuer Ordnung sorgen. Und andersherum brauchen die
Kuehe die Menschen, um nicht zu verhungern. Indische
Kuehe schaffen es uebrigens jede Treppe zu erklimmen
und durch jede noch so enge Gasse zu robben.
Aber was passiert mit ihnen, wenn sie sterben? Ich
habe noch keinen einzigen Kuhkadaver gesehen. Haben
sie sich von den Elefanten den letzten Gang zum
Friedhof abgeschaut? Ich komme darauf, weil ich heute
gesehen habe, wie ein paar Maenner en wilde Kuh
eingefangen und in einen Transporter gesteckt haben.
Gibt es eine Kuhmafia? Einen Schwarzmarkt fuer
Rinderfleisch? Und wenn ja, wo muss ich
unterschreiben, um Mitglied zu werden?

Es ist schon merkwuerdig soviele Menschen neben so
wohlgeneahrten Nutztieren hungern zu sehen. Stellt ech vor, irgendwo in Indien soll jmd. 35 Kuehe vergiftet haben. Da ein Massensterben von Kuehen fuer die Hindus das erste Zeichen der Apokalypse darstellt, muessen die Menschen vor Ort jetzt psychisch betreut werden.

Esta meinte, dass einer der wichtigen Goetter die Kuh
als Fortbewegungsmittel gewaehlt hat und sie deshalb
heilig seien. (Hm, ich glaube aber, da steckt noch
eine Reinkarnationsgeschichte dahinter). Jedenfalls
sollte heutzutage wieder ein Gott nach Indien kommen
und ein Fortbewegungsmittel suchen, so fiehle seine
Wahl garantiert auf den Motorroller. Er ist den Indern heutzutage naemlich mindestens genauso heilig.

Apropos Fortbewegungsmittel und Kuh, das ist eine gute Ueberleitung zu der Varanasirockstory...

Unser Hotel (Vishnu Rest House, empfohlen im Loneley
Planet und darum Treffpunkt unzaehliger Backpacker)
bot uns drei Maedels einen Blick auf den Ganges.
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Von der Magie der braunen Bruehe angezogen, liessen wir uns dazu verleiten bereits 5 Uhr aufzustehen, um ein Boot anzuheuern und die sunrise-zeremonie an den Ghats (Gangeszugang) vom Wasser aus zu beobachten.
Leider mussten wir dann feststellen, dass die
Bootsfahrer streikten. Muede und um einer einmaligen
Erfahrung beraubt, gingen wir am Ufer entlang. Ich
wusste schon, dass ich hinfallen wuerde, bevor ich ins Schleudern kam. Ich meine, es war glatt, ich habe das Schlenkergen...Was ich aber nicht wusste, war, dass ich in einen riesenhaufen Kuhscheisse fallen, von beissenden Riesenameisen bestuermt und vor Gestank fast ohnmaechtig werden wuerde. Hab mich trotzdem ueber mich totgelacht, allerdings habe ich den Rock im Hotel gelassen. (der graue aus Polen) Auf den Schrecken habe ich mir dann einen neuen, langen Rock gegoennt, wie ihr ja aus der Varanasimail wisst. (3 Euro) Und bevor jetzt Anfragen kommen: Nein, davon
existiert kein Foto!!!Puh!

Ueber Varanasi moechte ich euch eigentlich weniger
schreiben, als vielmehr meine Fotos erklaeren. Aber
eins noch: Burning Ghat. Dort werden taeglich ueber
200 Leichen verbrannt, bevor die Asche in den Ganges
gestreut wir, damit die Toten aus dem ewigen Kreislauf des Lebens gelangen und ewigen Frieden finden. Dort wurde ueberall Holz gestapelt. In der Stadt gibt es oft kleine Trauerzuege, in der indschn Farbe der Trauer: Weiss, die die aufgebahrten, verhuellten Leichen an einem vorbei zum Burning Ghat tragen. Dort wurden wir auf ein Hausdach gefuert, wo gerade eine Leiche verbrannt wurde. Die Hand hing raus. Drei weitere Leichen wurden ein Etage tiefer verbrannt. Auch der Tod haelt sich an das Kastensytem.
Es gibt ein dumpfes Geraeusch, ein merkwuerdges Plopp, wenn der Schaedel eines Menschen unter der Hitze zerberst. Dann bestaunten wir noch das ewige Feuer, das bereits seit 5000 Jahren brennt. Soetwas erstaunt mich immer, denn egal, was in meinem Leben noch pasiert, gleichzeitig wird wohl dieses Feuer lodern. Egal wann ein jeder von euch sich durch diese Email gekaempft hat, dort wird zur selben Zeit das Feuer brennen.

Es war heiss, wir hatten uns aus Ruecksicht auf die
Toten und die heilige Bedeutung des Ortes in Tuecher
gewickelt, standen in der Glut und versuchten, nicht
zu atmen. Die Toten nicht einzuatmen. Ueberall flogen
Haare herum. Natuerlich schwarze.

Einerseits muss ich zugeben, dass der Ganges ekelhaft
ist, dass er schmutzig ist, dass er stinkt und dass er eher ein Ort des Todes als des Lebens ist.
Andererseits bewundere ich die Hindus fuer ihren
Glauben und ihre Konsequenz.
imm058_5-0
Sie reisen durch das halbe Land um in Varanasi zu sterben. Sie baden in einem Fluss, der sie krank machen kann. Sie richten ihr Leben nach ihrem Glauben. Fuer die meisten Christen, die ich kenne, mich eingeschlossen, ist es schon zu umstaendlich, sich sonntags Frueh aus dem Bett zu quaelen...

Soviel von Varanasie und Kuehen: ihr habts
ueberstanden!!! Herzlichen Glueckwunsch!Wenn ich mich
das naechste Mal melde, erzaehle ich euch von meiner
Arbeit und wie eine indische Familienfeier aussieht.

Seid lieb gegruesst,
Juliane

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