9. Emergency Ticket

Juliane Kruppke schrieb am 13.10.05 09:59:34:

Hallo liebe Lesenden,
meine neue Adresse lautet:

Juliane Kruppke
c|o Deepak Andrews
West Mission House
Mission Compound
Ajmer Road
near Ajmer Bridge.

Nein, keine Zahlen. Ich vermute, dass ein zu logisches System die Inder nur verwirren wuerde...
Ich schreibe euch die Adresse nicht, um irgendwelche
Westpakete abzufassen. Die Zeit ist vorbei. Ausserdem
ist das schweineteuer, oft ohne Ankommen verbunden und die Haelfte des Inhalts verschwindet auch haeufig auf mysterioese Weise...Nein, ich schreibe euch, damit ihr wisst, wo ihr mich finden koennt, falls ihr Lust auf einen Tapeenwechsel habt. Das Zimmer ist riesig und es gibt eine Gaestematratze...Ausserdem weiss ich, wo man hier Bier kriegt...

Aber des Anreizes genug, nun noch die Warnung in kurz: Das wird lang!!
Ich habe heute naemlich nichts anderes zu tun , als im Cybercafe rumzuhaengen. Trifft sich ganz gut, da ich einiges erlebt habe. Da ich ab morgen arbeite, wird das eventuell die letzte Mammutmail. Versprechen kann ich es aber nicht...

Zunaechst mal ueber Esta:
Ich hab sie total gern. Sie redet mit british-neuseelaendischem Akzent, wiederholt staendig Woerter wie that sucks, get pissed, fuck etc. und ist unglaublich selbstbewusst. Sie kennt sich total gut
aus und hat mich in ein gutes Hotel geschleppt (Pearl
Palce), das bei uns um die Ecke ist (ein Zimer 150
Rupien) und von dessen Dachterassenrestaurant man
einen unglaublich schoenen Blick ueber die Lichter der Stadt hat. Das Essen ist super lecker und wer mehr als zwei Euro veressen kann, muss einen Elephantenmagen haben. Dort hat sie mir die anderen Praktikanten von I-India vorgestellt, die sie rein zufaellig kennt. Zwei Schwedinnen oder waren die aus Finnland ? und zwei daenische Maedels. An dem Abend waren wir eine riesige Gruppe aus lauter Backpackern aus sovielen Laendern, dass ich die Uebersicht verloren habe. Jedenfalls waren die Maedels sehr nett, haben mich sogar gefragt, ob ich zu ihnen ziehen will und ich denke, es wird schoen, mit ihnen zu arbeiten.
Naechste Woche will mich Esta in ein anderes Hotel
schleppen, wo es einen Pool gibt...Wenn ich mir
vorstelle, dass ich dieses Jahr an meinem Gebutstag
unter freiem Himmel im Bikini...Unglaublich!

Ein gutes Beispiel, um zu zeigen, wie Esta tickt, ist
die Story vom Emergency-Ticket:
Spontan hatte ich mich dazu entschlossen, Esta und
Karla (Kanada) nach Varanasi zu begleiten. Zu spontan. Aufgrund des indischen Festivals und der damit verbundenen Feiertage war der Zug ausgebucht. Ohne Ticket fuhr ich wieder nach Hause, woraufhin Esta wieder mit mir zum Bahnhof fuhr.
Lange Schlange. Warten. Dann: Ausgebucht! Esta fragt
nach der Tourist Quota. Das heisst, dass ein bestimmtes Kontingent fuer Touristen vorgesehen ist
und solange das nicht voll ist, bekommt man als
foreigner ein tickt. Doch nach Varanasi gibt es keine
tourist quota.
Esta stuermt das Buero des managers. Ueberraschung:
Eine Frau. Varanasi sei kein Touristort. Esta fragt
nach der Emergency Quota. Die Frau (pissed) hasst uns
augenblicklich und gibt nur sehr vage und widerwillg
Antwort. Zunaechst brauchen wir ein Wartelsitenticket.
Wieder anstellen. Es dauert. Ich kaufe ein
Wartelistenticket (Platz 67). Dann Suche nach dem
Buero fuer die Emergency Quota. es ist heiss. sehr heiss. Wir laufen die strasse entlang, der schweiss an uns herab. fragen uns durch.
unterschiedliche richtungsangaben. alle paar meter
will uns ein anderer rikschafahrer mitnehmen. nein,
danke. endlich: ein grosses, wichtig aussehendes gebaeude.
wir betreten es einfach so. Esta ist nicht aufzuhalten. Sie betritt ein buero. fragt nach der
emergency quota. naechstes buero. das gleiche spiel
noch einmal. Und schliesslich:
Habt ihr mal die Muppetweihnachtsgeschichte gesehen?
Diese kleinen Rattenschreiberlinge oder was das fuer
Tiere sein sollen? Genauso einen Raum betreten wir.
Papier, Hefter, Ordner stapeln sich an den Waenden bis zur Decke. In der Mitte sitzen lauter Menschen an
kleinen Tischen und schreiben, kritzeln fleissig, so
emsig, dass sich an uns keiner stoert.
Emergency Quota?
Man reicht uns ein blatt Papier. Ein kleiner Wisch.
Name des Zuges, Zugnummer, mein Name (gleich dreimal
erfragt), name des Vaters oder Ehemannes (natuerlich,
wie immer, Paps, du stehst mittlerweile auf
unzaehligen indischen Formularen)usw.
Emergencygrund: Tourism.
Wir geben das Papier einer der Schreibfrauen. Sie
nimmt es an sich und schreibt weiter...
Wir sind verwirrt. Bin ich im Zug? Die Frau sagt ja.
Ich kriege weder ein Schreiben, noch einen feuchten
Haendedruck. Da solls gewesen sein? Habe nur das
Wartelistenticket.
Naechster Tag steht mein Name nicht auf der
Passagierliste. Karla und ich gehen ins tourist
office. Ein Anruf. Ja, alles klar. schliesslich finde
ich meinen Namen auf den am Zug aufgeklebten Listen.
Wir sprechen mit dem Schaffner und tauschen ein wenig
die Plaetze, damit wir in einem Waggong sitzen. Ich
bin tatsaechlich auf dem Weg nach Varanasi. Das
indische Zugsystem: Es bleibt ein Raetsel, ein Mythos.

Ebenso wie es fuer mich unerklaerlich bleibt, warum
die Inder eine Zugverspaetung von 9 Stunden und fuer
uns somit eine Fahrt von 27 Stunden einfach so
hinnehmen. Ohne Erklaerung. Einziger Anhaltspunkt: Es
hat nach brennendem Gummi gestunken. Wir haben uns die Zeit mit Rommeespielen (man, hab ich verloren) und mit Gulf (oder so aehnlich) spielen vetrieben. Auch meine Mitternachtskinder haben mich begleitet und Karla reiste mit Stephen King an ihrer Seite:
Desperation(schon gelesen). Wir verstanden, was der
Titel bedeutet. Zeitweise haben wir uns von
Mangobonbons und pinken Erdbeerkeksen ernaehrt. Da hat dann aber mein Magen den Geist aufgegeben. Durchfall.
Koennt ihr euch vorstellen, wie nach einem Tag
Zugfahrt, die Stehklos aussehen? Oder riechen? Seid
froh, dass die Antwort nein heisst...
Soviel zu dem Spass, den wir im Zug hatten.

Jetzt muss ich zum Mittag. Ausserdem ist Esta krank,
zu Hause und langweilt sich vermutlich. (Ich bin auch
total erkaeltet.) Aber vielleicht schreibe ich euch
heute Nachmittag noch mehr. Vielleicht, denn Varanasi
war toll.
Habe heute die ersten Fotos abgeholt. Das Entwickeln
kostet mich genausoviel wie zu Hause. Ebenso die
Filme. Also ein indisches Vermoegen. Waren es aber
wert...Ihr werdet sie zu sehen bekommen.
Heute Abend ist wieder traineedinner angesagt. Ich
freue mich schon.

Bis bald,
eure Julianna (meinen richtigen Namen kriegt hier
keiner ausgesprochen)

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