10. Von Kühen und Varanasi

Juliane Kruppke schrieb am 14.10.05 14:49:21:

Hallo Rasselbande,
hab mich im Datum geirrt, was ja passieren kann, wenn
man so dahin lebt, soll heissen: Hab erst morgen
meinen ersten Arbeitstag. Da unser Badezimmer derzeitig aufgeruppt wird (35 Grad und keine
Dusche...), habe ich dennoch fluchtartig die Wohnung
verlassen und bin mit Esta zu ihrer Schule gefahren.
Waehrend ihres Praktikums kuemmert sie sich um
behinderte Kinder. Es war sehr beeindruckend, zumal
ich bisher selten Umang mit geistig behinderten
Menschen hatte. Karla, die auch dort arbeitet, hat
heute zufaellig Kanada vorgestellt, weshalb ich gleich noch was gelernt habe.
Das einzig negative war, dass viele Betreuer den
Kindern schonmal eine runtergehauen haben. Esta meint, das sei in Indien gang und gebe, aber falls ihr jemals die Hand ausrutscht, schmeisst sie die Arbeit hin. Na Schwesterherz, rate mal, an wen ich heute den ganzen Tag gedacht habe...

Soviel zu meinem heutigen Tag. Euch ist ja eigentlich
der Varanasitripp versprochen, aber mir gehen heute
die Kuehe nicht aus dem Kopf. Von der Rikscha aus habe ich heute folgende Tiere (im Strassenverkehr) gesehen: Hunde(einer mit Schaum vorm Mund und gefletschten Zaehnen munter vor sich hinknurrend), Ochse mit angemalten Hoenern, Kamele, Elefant und wie immer Kuehe, Kuehe, Kuehe.
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Meiner Meinung nach wuerde eine herkoemmliche deutsche Kuh auf Indiens Strassen an Herzversagen sterben, sobald sie den Verkehr erblicken wuerde. Nicht so die indischen.
Diese koennen sogar auf der Strasse schlafen. Jetzt fragt ihr euch sicher, wovon ernaehren die sich ueberhaupt? So im Grossstadtdschungel noch dazu in einer Wuestenstadt..Die Antwort lautet ganz einfach: Vom Muell.
Der liegt hier ueberall herum. Vom Zug aus haben wir eine Haeuserfront gesehen, vor der in circa zwei Meter Entfernung eine kleine Mauer entlang lief. Hinter der Mauer stapelte sich der Muell meterhoch. Wir habe sogar gesehen, wie die Leute aus ihrer Haustuer traten, einen Muellbeutel in der Hand
schwingend und ueber die Mauer werfend...Koennt ihr
euch vorstellen, wie das in dieser Hitze stinkt?

So gesehen bedarf Indien seiner heiligen Kuehe, die
fuer Ordnung sorgen. Und andersherum brauchen die
Kuehe die Menschen, um nicht zu verhungern. Indische
Kuehe schaffen es uebrigens jede Treppe zu erklimmen
und durch jede noch so enge Gasse zu robben.
Aber was passiert mit ihnen, wenn sie sterben? Ich
habe noch keinen einzigen Kuhkadaver gesehen. Haben
sie sich von den Elefanten den letzten Gang zum
Friedhof abgeschaut? Ich komme darauf, weil ich heute
gesehen habe, wie ein paar Maenner en wilde Kuh
eingefangen und in einen Transporter gesteckt haben.
Gibt es eine Kuhmafia? Einen Schwarzmarkt fuer
Rinderfleisch? Und wenn ja, wo muss ich
unterschreiben, um Mitglied zu werden?

Es ist schon merkwuerdig soviele Menschen neben so
wohlgeneahrten Nutztieren hungern zu sehen. Stellt ech vor, irgendwo in Indien soll jmd. 35 Kuehe vergiftet haben. Da ein Massensterben von Kuehen fuer die Hindus das erste Zeichen der Apokalypse darstellt, muessen die Menschen vor Ort jetzt psychisch betreut werden.

Esta meinte, dass einer der wichtigen Goetter die Kuh
als Fortbewegungsmittel gewaehlt hat und sie deshalb
heilig seien. (Hm, ich glaube aber, da steckt noch
eine Reinkarnationsgeschichte dahinter). Jedenfalls
sollte heutzutage wieder ein Gott nach Indien kommen
und ein Fortbewegungsmittel suchen, so fiehle seine
Wahl garantiert auf den Motorroller. Er ist den Indern heutzutage naemlich mindestens genauso heilig.

Apropos Fortbewegungsmittel und Kuh, das ist eine gute Ueberleitung zu der Varanasirockstory...

Unser Hotel (Vishnu Rest House, empfohlen im Loneley
Planet und darum Treffpunkt unzaehliger Backpacker)
bot uns drei Maedels einen Blick auf den Ganges.
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Von der Magie der braunen Bruehe angezogen, liessen wir uns dazu verleiten bereits 5 Uhr aufzustehen, um ein Boot anzuheuern und die sunrise-zeremonie an den Ghats (Gangeszugang) vom Wasser aus zu beobachten.
Leider mussten wir dann feststellen, dass die
Bootsfahrer streikten. Muede und um einer einmaligen
Erfahrung beraubt, gingen wir am Ufer entlang. Ich
wusste schon, dass ich hinfallen wuerde, bevor ich ins Schleudern kam. Ich meine, es war glatt, ich habe das Schlenkergen...Was ich aber nicht wusste, war, dass ich in einen riesenhaufen Kuhscheisse fallen, von beissenden Riesenameisen bestuermt und vor Gestank fast ohnmaechtig werden wuerde. Hab mich trotzdem ueber mich totgelacht, allerdings habe ich den Rock im Hotel gelassen. (der graue aus Polen) Auf den Schrecken habe ich mir dann einen neuen, langen Rock gegoennt, wie ihr ja aus der Varanasimail wisst. (3 Euro) Und bevor jetzt Anfragen kommen: Nein, davon
existiert kein Foto!!!Puh!

Ueber Varanasi moechte ich euch eigentlich weniger
schreiben, als vielmehr meine Fotos erklaeren. Aber
eins noch: Burning Ghat. Dort werden taeglich ueber
200 Leichen verbrannt, bevor die Asche in den Ganges
gestreut wir, damit die Toten aus dem ewigen Kreislauf des Lebens gelangen und ewigen Frieden finden. Dort wurde ueberall Holz gestapelt. In der Stadt gibt es oft kleine Trauerzuege, in der indschn Farbe der Trauer: Weiss, die die aufgebahrten, verhuellten Leichen an einem vorbei zum Burning Ghat tragen. Dort wurden wir auf ein Hausdach gefuert, wo gerade eine Leiche verbrannt wurde. Die Hand hing raus. Drei weitere Leichen wurden ein Etage tiefer verbrannt. Auch der Tod haelt sich an das Kastensytem.
Es gibt ein dumpfes Geraeusch, ein merkwuerdges Plopp, wenn der Schaedel eines Menschen unter der Hitze zerberst. Dann bestaunten wir noch das ewige Feuer, das bereits seit 5000 Jahren brennt. Soetwas erstaunt mich immer, denn egal, was in meinem Leben noch pasiert, gleichzeitig wird wohl dieses Feuer lodern. Egal wann ein jeder von euch sich durch diese Email gekaempft hat, dort wird zur selben Zeit das Feuer brennen.

Es war heiss, wir hatten uns aus Ruecksicht auf die
Toten und die heilige Bedeutung des Ortes in Tuecher
gewickelt, standen in der Glut und versuchten, nicht
zu atmen. Die Toten nicht einzuatmen. Ueberall flogen
Haare herum. Natuerlich schwarze.

Einerseits muss ich zugeben, dass der Ganges ekelhaft
ist, dass er schmutzig ist, dass er stinkt und dass er eher ein Ort des Todes als des Lebens ist.
Andererseits bewundere ich die Hindus fuer ihren
Glauben und ihre Konsequenz.
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Sie reisen durch das halbe Land um in Varanasi zu sterben. Sie baden in einem Fluss, der sie krank machen kann. Sie richten ihr Leben nach ihrem Glauben. Fuer die meisten Christen, die ich kenne, mich eingeschlossen, ist es schon zu umstaendlich, sich sonntags Frueh aus dem Bett zu quaelen...

Soviel von Varanasie und Kuehen: ihr habts
ueberstanden!!! Herzlichen Glueckwunsch!Wenn ich mich
das naechste Mal melde, erzaehle ich euch von meiner
Arbeit und wie eine indische Familienfeier aussieht.

Seid lieb gegruesst,
Juliane

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