5. Indische Zuege 2

Juliane Kruppke schrieb am 06.10.05 09:31:57:

Hallo an alle Daumendruecker da draussen
(und danke fuer die oelf (altmaerkisch) emails heute), denn anders kann ich mir nicht erklaeren, dass ich heute in ein traineehouese umziehe. Allerdins nur in ein Zweimann bzw. Zweifrauhaus. Die dort bereits lebende (jetzt Lia und Annelie aufgepasst) Neuseelaenderin heisst Ester und scheint echt nett. Bei dem Haus handelt sich, falls ich das richtig verstanden habe, um ein (altes?) Museum. Pluspunkt: Balkon.

Ester hat angeboten, mich vor der Laaaangeweile zu
retten und mit mir und noch irgend jmd. von Samstag
bis Mittwoch einen Ausflug nach Varanasi (ganz dolle
heilig) am Ganges zu machen. Wenns klappt, waere das
echt toll. Ich erinnere mich an Allmuths Worte, die
meinte, dass die Inder dort so mit sich selbst
beschaeftigt waeren, dass man endlich mal aufatmen
koenne. Klingt gut.

Das Traineedinner gestern war toll. Ein Nobelrestaurant. Ich habe mir den Magen vollgeschlagen und circa 3 Euro bezahlt... Danach ging es noch in eine Bar (richtig mit Alkohol) und Tanz, Tanz, Tanz!!!!

Das tolle an AIESEC ist, dass man junge Menschen von
der ganzen Welt kennenlernt: Deutschland (ein Dutzend), Holland, Spanien, Portugal, England, Rumaenien, Philipienen (falsch geschrieben! im
uebrigen klemmt wie imer die Tastatur), Mexiko,
Indien, Polen, USA, Neuseeland. Das beruhigende ist,
dass die Englisch-Muttersprachler auch ihr Probleme
haben, die Inder zu verstehen. Jedenfalls lernt man so die Partykulturen der ganzen Welt kennen.

Aber jetzt weiter im Text, sonst schaffe ich es nicht
mehr, von meiner Ankunft in Jaipur zu berichten, bevor ich die Stadt auch schon wieder verlasse und auf dem Weg nach Varanasi bin.

Zunaechst fuehlte ich mich etwas unbehaglich mit den
fremden Menschen, aber dann bin ich schnell aufgetaut,
weil wir wirklich ein tolles Gespraech gefuehrt haben. Natuerlich Hauptthema: Indien und Deutschland im Vergleich. Die Stellung der Frau, die Politik, die
Religion, die Wendezeit in Deutschland, der
Kaschmirkonflikt, Bollywood, Schnee, der ploetzliche
Sonnenuntergang in Indien (als haette jmd. das Licht
ausgemacht), gruene Wiesen in Deutschland, Bratwuerste und, und, und. Ich habe viel ueber die indische Kultur erfragen koennen und die drei (die Brueder und Himanshu) waren mindestens genauso neugierig. Wir haben gut diskutiert, gelacht und einfach geplaudert.

In indischen Zuegen kommt so circa alle zwei Minuten
jmd. vorbei und will dir Tee, Wasser oder Essen
verkaufen. Die Maenner haben staendig Sachen gekauft
und mir erklaert, das ich alles kosten muesse. Dann
haben sie sich halb tot gelacht, wenn mit vor Schaerfe fast die Zunge weggeflogen ist. Der aeltere Bruder sah in mir (!) die Chance, ein Standbein nach
Deutschland zu bekommen. Kontakte. Lebenswichtig in
Indien. Er will irgendwas expandieren. Nur was und an
wen? Ob ich nicht helfen koenne?
Ebenso Himanshu. Er betreut traditionell-indische
Taenzer und will mit ihnen auf Tour. Gibt es kein
Tanzfestival, das ich kenne? Keine Kontakte?
Mir viel nur die Euroscene ein. Aber die ist ja
eigentlich fuer Europa...
Man, bin ich kontaktlos.
Indien ist das Land, fuer das Gott die Visitenkarten
erfunden hat. Jeder will mit mir seine Adresse
tauschen. Den drei aus dem Zug habe ich meine richtige email-adresse egeben. Ansonsten schreibe ich immer eine falsche auf.
Sie wollen mein Horoskop erstellen. Hier geht gar
nichts, ohne die Zustimmung der Sterne. Geschaeftliches wie Privates) Darum die Frage:
Datafbyrt. (Date of birth) Ja, so ist indisches
englisch....

Mit Schrecken habe ich festgestellt, dass mein
Sitzplatz fuer das oberste Bett galt. Keine Leiter.
Eine Null in Sport...Inder sind flexibel. Entspannen
sich, waehrend sie sich verknoten.
Aber auf meine Reisebegleiter war Verlass. Ohne, dass
ich was gesagt haette, haben sie mit mir getauscht.
Uebrigens habe ich super geschlafen.

Der Zug hatte auch nur eine Stunde Verspaetung. Auf
dem Bahnhof verschwanden die drei dann ganz schnell,
aber gaben mir ihre Nummer. Falls was nicht in Ordung
sei, ich die Stadt sehen wollte etc. Himanshu will mir seine Taenzer zeigen und mich mal in die Proben
luchsen lassen. Er wuerde sie auch fuer die AIESECER
auftreten lassen. Kontakte in die weite Welt. Klar.

Dann begann das Warten. Und hoerte sieben Stunden lang nicht auf. Siddharth, der mich abholen sollte, war puenktlich am Bahnhof gewesen. Nur der Zug eben nicht.
So ergab ein dummer Zufall den naechsten und im
Endeffekt habe ich den Tag auf dem Bahnhof verbracht.
Habe mich aber ueberhaupt nicht gelangweilt. Das geht
als weisse Frau in Indien auch nicht. Zunaechst habe
ich mir von den Rikschafahrern zeigen lassen, wo man
telefonieren kann. Da sie sehr freundlich waren,
obwohl ich ihnen versicherte, dass mit mir kein
Geschaeft zu machen sei, da ich abgeholt werden
wuerde, habe ich mich etwas mit ihnen unterhalten.
Einer holte ein Notizbuch hervor, in das kuerzlich ein paar deutsche Touristen etwas hineingeschrieben
haetten. Ob ich das nicht uebersetzen koennte.
Die Touristen stammten aus Padderborn, betrieben dort
einen Indiladen und hatten sich mit Rahul, dem
Rikschafahrer, angefreundet. Der Brief war ein grosses Dankeschoen, ein Loben und eine
Freunschaftsverkuenigung. Es hat Spass gemacht, ihn zu uebersetzen, weil Rahul einerseits ganz geruehrt wurde und ich andererseits das Gefuehl bekam, vor mir stand der beste Mensch Indiens. Zumindest hatte ich
Vertrauen gefasst, so dass ich die Einladung zum Tee
ein Haeuschen weiter auch nicht ausgeschlagen habe.
Der Tee hier ist Weltklasse und gehoert mit zum
besten, das ich bisher gekostet habe. (Wobei der
Kaffee in Bosnien auch echt gut ist. Gruss an
Stefan.)Dann haben sie mir noch ein paar gelbe Kugeln
angeboten. Eine Suessigkeit. Lecker. Ich haette bloss
gerne selber bezahlt, aber das war nicht drinn.

Ihr muesst euch also vorstellen:
Juliane, sowie Julianes Riesenruckzack (samt
baumelnden Meki-Teddy und Susann-Anhaenger) und ein
Dutzend Rikschafahrer (der Verkehr war lahmgelegt)in
einem kleinen cafeaehnlichem Etwas. Es war sehr nett.
Der eine Rikschafahrer leitet eine Schule fuer arme
Kinder und vermittelt auch Patenschaften fuer diese.
Als ob ich es ihm anders nicht glauen wuerde, muss ich mit einer hollaendischen Praktikanten telefonieren.
Sie ist auch 23 und ganz begeistert. Ich koennte auch
anfangen, wenn ich wollte. Gut zu wissen, denn noch
hatte ich ja kein Praktikum in der Tasche.
Er tat das aus einem einleuchtenden Grund: Karma.
Rettung vor der indischen Hoelle durch die Bekaempfung der indischen Hoelle. Aendert es etwas, wenn Menschen etwas wirlich Gutes tun, und dabei doch irgendwie an sich denken? Gluecksprinzip?
Abchliessend bekam ich ihre Nummern (natuerlich) und
den Rat, dass es in Indien auch schlechte Menschen
gaebe und ich auf mich aufpassen sollte...

Die restlichen Stunden verbrachte ich im Wartesaal des main gate. Die Rikschafahrer kamen ab und zu vorbei und schauten nach mir. Die indische
Hockeynationalmannschat fuer Kinder, gerade auf dem
Weg nach Holland, wollte eine Einfuehrung ueber Europa und ein Foto mit mir. Die Baskettballmannschaft war da schon audringlicher. Pubertierende Jungs. Erklaerung ihrerseits: Junge ist man bis 25, dann ist man ein Mann und sollte heiraten. Fuer Frauen lag die Grenze bei 21. Wer aelter und noch nicht verheiratet war, war
Frischfleich. Sie gingen mir ganz schoen auf die
Nerven und wollten mir natuerlich alle den Gefallen
tun, mich zu heiraten. Teilweise war es aber auch
interessant. Einige hatten zum Beispiel Freundinnen,
aber die Eltern durften das nicht erfahren. Die
Hochzeiten waren schon anderweitig geplant. Einer war
ungluecklich, weil sein Vater ihn zwang, Politiker zu
werden. Hitler ist ein toller Mann. (Danke Nikos fuer
die Erklaerung.)Und Pubertierende sind in jedem Land
anstregend.

Was noch: Eine Kuh im Wartesaal, Tauben auf dem
Fernseher und spaeter ein uniformierter Mann mit einer Holzkeule, der alle Maenner von mir fern hielt.
Dann kam Sid und holte mich ab. Seitdem wohne ich bei
ihm und schlafe auf einer Art Holztisch mit einer
duennen Unterlage. Deshalb schlafe ich immer erst
gegen drei, vier ein und habe maechtige Rueckenschmerzen bekommen. Ihr wisst ja..Ich bin die
Prinzessin auf der Erbse. Drueckt mir die Daumen, dass ich ab heute weicher schlafe.

Ganz liebe Gruesse und habt dank fuer eure tollen
mails. Ich denke an euch,
Juliane

P.Ses.
Rike: Schoen, dass es gut angefangen hat. Erinner mich an die Redaktion, aber glaube nicht, dass wir was liegen gelassen haben.

Doerte: Klingt super. Ich freue mich tot, wenn du
wirklich kommst!

Nikos: Was liest denn nun die Leserunde in diesem
Semester? Liebe Gruesse an alle.

Bjoern: Ich denke schon, dass ich da Zeit habe. Freue
mich darauf, deine Stimme zu hoeren.

Robert: Wann geht|ging es bei dir nochmal los. Gib mal einen Lagebericht.

Ralf und Rainer: Danke fuer die lieben Worte!

Tim: Dir auch danke fuer die Aufmunterung und gut,
dass auch du wieder Mut hast.

an alle: euch einen goldenen Herbst. (Ausreisser
ausgenommen) Ich finde es Wahnsinn, wie ihr an meinem
Schicksal hier teilnehmt.
Eure Juliane

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