3. Mumbai / Bombay

Juliane Kruppke schrieb am 03.10.05 14:48:

Hallo grosse Leserunde,
bin grad von ner Touri-Sightseeing-Tour zurueck und
spare jetzt mein Geld, um mir och so ein klenes
Palaestchen zu bauen. :-)
Ich haette mich ja mit dieser mail kurzgefasst, aber
Rosi hat geschrieben, dass er jede mail, und wenn sie
noch so lang ist, lesen wird...Das war absolut
motivierend. Bedankt euch also bei ihm fuer diese Romanausgabe. Seine mail-Adresse ist dem Verteiler zu
entnehmen (Martin Rosahl).

So, der Anfang war vorbei und nun sassen wir doch
gerade in einem prepaid-taxi. Man bezahlt im Voraus.
Wahrscheinlich, da es unsicher ist, ob man in diesen
wackeligen TUEV-Fans-Schocker lebend ankommt. Nach
indischer Zeit war es noch frueh am morgen. Dennoch
war die Sonne knalleheiss und ich fuehlte mich so, wie
der Edamer-Aldi-Kaese, den ich ins Land geschmuggelt
hatte, im Nachhinein aussah: Schmelzklumpig! Wieviel
Schweiss kann Jeansstoff aufnehmen?

Mumbai erwachte gerade. Trotzdem war es schon lauter,
als jede Grossstadt Deutschlands sich trauen wuerde.
Nun wurde ich ueber eine Stunde durch Mumbai kutschiert. Vorbei an Menschen, die aus ihren Holzbaracken krochen, um einen Meter von diesem
dreckigen Wohnloch ihre Morgentoilette zu verrichten.
Ueberall Menschen!!! Sie schlafen auf Zaeunen, unter
Baenken, mitten auf der Strasse...Ich sah einen
schmuddeligen, kleinen Jungen, der nichts weiter trug
als ein zerrissenes Hemdchen, sich hinhockte und einen duennen Strahl braune Suppe schiss. So einen Durchfall wuerde kein Europaeer ueberleben. Daneben
wunderschoene Frauen in traditionellen Saris mit
unterernaehrten Kindern im Arm. Ueberall Dreck und
Menschen, Rikschas und Taxis. Abgase. Linksverkehr.
Geschenk der Briten. Habe ich aber nur am Lenkrad
gemerkt. Der Verkehr (falls man das so nennen will,
wer in Indien fahren kann, kann es ueberall auf der
Welt) floss auf beiden Strassenseiten in eine
Richtung. Rush Hour.

Ein staubiges Gebauede, vor dem viele Rikschas und
Taxis warten. Wir halten. Ah verstehe, der Hauptbahnhof. Was nun? Hunderte von Maennern um mich
herum. Jeder will mir helfen? Will zumindest, dass ich in sein Gefaehrt einsteige. Schliesse die Augen. Es bleibt heiss und laut. Alle bedraengen mich. Ich denke an Worte von Freunden, die mir Menschenkenntnis
unterstellen. Schaue die Taxifahrer an. Alle reden auf mich ein. Entscheidung. Gehe schnurstraks auf einen zu. Er hilft mir aus der Menge, bringt mich zum
Ladys-Only-Schalter, wo ich nicht warten muss, denn
Frauen gibt es auf Indiens Strassen so gut wie keine,
er fuellt das Hindi-Formular fuer mich aus und ich
kriege das Ticket. Unglaublich. Nichtmal fuenf
Minuten. Der Taxifahrer war eine gute Wahl. Er
erwartet nicht, dass ich jetzt mit ihm irgendwohin
fahre. Genau darum tue ich es. Er erzaehlt mir stolz
von seinen zwei Kindern und ganz wichtig: Sie kennen
zur Schule. Er wurde in Bombay geboren. Ich habe noch
circa 8 Stunden, bis der Zug kommt. Todmuede, dreckig
und unsicher. Ich will nicht weit weg vom Bahnhof, nur wenig Geld ausgeben. Citytour. Der Faher verhandelt hart mit den Hotelangestellten ueber den Preis. Sagt zweimal nein. Laesst nicht zu, dass ich zuviel bezahle. Schliesslich: Er faehrt mich in ein billiges Hotel, eher eine Absteige, aber es gibt Ventilator, eine Klimaanlage, eine Dusche (nagut, nur einen Eimer kaltes Wasser) und eine (mit Urin besprenkelte) englische Toilette. Yes!

Nachdem ich gegessen, getrunken, geduscht und
geschlafen habe, werde ich mutig. Ausserdem ist mir
langweilig. Gehe auf die Strasse.
Hitzeschock!! Gestank, Geschrei, Gehupe. Alle staren
mich an. Ich bin im Armenviertel. Menschen stehen,
liegen, sitzen ueberall. Einige sind vielleicht tot,
aber wen kuemmerts? Einige Frauen halten mir ihre
halbtoten Kinder uner die Nase. Sie betteln, sie
flehen, sie zerren an meinem Arm. Die Kinder bewegen
sich nicht. Ob Frauen auch tote Kinder zum Betteln
benutzen wuerden? Sie sehen nich einen Cent von mir,
denn ich wollte das ueberleben. Ich kaempfe mich
zurueck ins Hotel. Klimaanlage. Pervers. Zu viert in
einem Beschlag hausen, wo sich nicht ein Mensch gerade
machen kann und um die Ecke ein tiefgekuehltes Zimmer, das sie nie sehen werde. Ich schon, obwohl ich nur einen Tag da bin. Mache die Klimaanlage aus. Nicht deshalb, sondern um mich nicht zu erkaelten. Der "Hotelboy" laesst mich nicht aus den Augen. Wuerde mir am liebsten beim Duchen helfen. Die Zeit vergeht gar nicht und langsam kommen mir Zweifel. Aber es kann doch nicht ueberall in Indien so aussehen.

Ich halte es nicht mehr aus. Lasse mir eine Cola
bringen und ein Taxi rufen. Wieder Central Station. Im spartanischen Wartesaal ein McDonald. Ich gehe nicht rein. Beobachte die Menschen. Saris, ein paar
Europaer, viele Maenner, Bettler. Fuehle mich ploetzlich pudelwohl. Kaufe einem einhaendigen
Menschen eine Kette mit Schloss ab. Fuers Gepaeck um
nachts schlafen zu koennen. Ueberall Hunde. Keine
Tollwutimpfung... Alle starren mich an.
Hoehepunkt: Ein Hund hebt sein Bein an meiner
Essenstuete. Wird von Indern vertrieben. Hatte mein
Essen in zwei Tueten verpackt, da eine durchsichtig
war. (nochmal Dank an Philipp!!) Musste ja nicht jder
sehen, was ich hatte. Die Inder organisieren sofort
eine Tuete. Der handlose Verkaeufer ueberreicht sie
mir. Als Geschenk. Weil ich beim Schlosskauf so nett
gewesen war. Noch circa anderthalb Stunden. Die Leute
starren, was mir das Recht gibt, zurueck zu starren.
Ploetzlich faengt der junge Mann neben mir ein
Gespraech mit mir an. Ihm ist langweilig. Er fragt
mich sehr schuechtern, ob das o.k. geht. Das machen
Inder ehen selten bis nie. Normalerweise geht es so:

"Hi. Where are you from? What is your Godname? I am... Are you married?"

Also: Wir reden. Gute Unterhaltung. Ueber Deutschland, Indien, Education, Armut. Dass er normalerweise schaebig aussieht und er meint, ich haette dann nicht mit ihm geredet. Ich lenke ab, denn vermutlich hat er recht. Es bleibt interessant. Er will sicher gehen, dass ich den richtigen Zug bekomme und bringt mich noch zum Bahnsteig.

So, die naechste laaange mail wird sich mit den
indischen Zuegen befassen. Ich werde euch nur von der
Anreise nach Jaipur so ausfuehrlich berichten, keine
Sorge. (Jan, kannst du die mail an Nikos
weiterleiten?) Das heisst, ihr duerft euch zumindest noch auf die tollen emails: "Indische Zuege" und "der Bahnhof in Jaipur" freuen.
Lasst euch druecken.
Eure Juliane

nur ein paar ganz enig PS:
Rike: Habe heute den ganzen Tag an dich gedacht.
Hoffe, du hattest einen grandiosen Start in dein
Studium.
Paul: Wie stehts um die neue WG? Alles klar bei euch?
Doro: Danke und Kuss! Frag Christoph, wie man sich zu
Hausarbeiten motiviert.
Elmar: Kratz und liebanguck: Kannst du die mail der
Teresa zeigen? Die hat naemlich nix email...Danke!!

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