E-mails aus Indien

12. Eindruecke der Woche

Juliane Kruppke schrieb am 21.10.05 14:44:49:

Slumkinder, die aus Muell Drachen gebastelt und diese
steigen lassen haben.

Kuehe, die in einem Berg voll Ringelblumen stehen und
diese fressen.

Das gute Gefuehl ueberlebt zu haben, nachdem man
erfolgreich an der richtigen Stelle aus dem fahrenden
Bus abgesprungenn ist und den nachfolgenden Autos
ausweichen konnte. (Liebe Mama, bitte nicht aufregen!)

Slumkindern aus einem Wuestenort mit
Wasserversorgungsproblem beim Tanzen im fallenden
Wasser, das I-India zweimnal pro Woche in Tankwagen
hinbringt, zugesehen. Das ist gelebte Freude pur!!

Eine Fliege, die an einer offenen Stelle eines zwei
jaehrigen Maedels unter die Haut kroch und dort
verschwand...

Der Stolz in den Augen eines Heimjungen, der mir seine Kungfutricks praesentierte.

Sieben fette Kuehe vor meiner Haustuer. An alle
Bibelfesten: Ihr wisst ja was das heisst. Auf die
naechsten sieben Jahre.

Ein K.O.-Schlag zwischen zwei maennlichen
Slumbewohnern.

Bunt angemalte Elefanten im Strassenverkehr.

Eine Kuh auf der Trennungsmarke zwischen den
Strassenspuren im moerderischsten Strassenkaffee.

Ein Rikschafahrer, der mir nicht von Hitler, sondern
von der Wiedervereinigung Deutschlands berichtet und
mich damit schwer beeindruckt hat.

Ein Buchladen. Eher ein Laedchen: Marquez, Stephen
King, Salman Rushdie, Hesses Siddharta und Hitlers
Mein Kampf. Habe mir eine Strassenkarte gekauft.

Stromausfall. Immer wieder. Erklaerung seitens der
Gastfamilie: Der Strom wird gespart (?) damit er fuer
Diwahli reicht. Das ist der Feiertag schlechthin. Alle drehen deswegen am Rad. Sogar die Slumbewohner putzen sich dafuer raus. Als wuerde Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen. Auch Lichterfest genannt. Ueberall Kerzen. Wozu dann Strom?

Der Gestank des "frischen" Muellberges auf der
Strasse, in dem einige Menschen nach Essen wuehlen.

Strassenstaenden fuer Obst unter riesigen
Sonnenschirmen, gespannten Tuechern. Viele Farben.

Moskitostiche noch und noecher. Jetzt:
Elektrisch-fluessiges Moskitovernichtungsdingsbums.

Tradition: Feierabendbierchens mit Esta auf dem Balkon bei (u.a. Voll)mond.

Viele, viele lachende Kindergesichter!!
Habe einmal ein Zauberkunststueck vor sechzig
vorgefuehrt: Circa 120 unglaeubige und hoch
konzentrierte Augen, die jeder meiner Bewegungen
folgten. Offene Muender. Lachen. Klatschen.

Ich kann meinen Namen in Hindi schreiben. In drei
Versionen! Denn die Inder sind sich nicht einig ueber
die Schreibweise. :-)

Das Essen in einem Nobelrestaurant fuer circa zwei
Euro. Wirklich lecker.

Esta, die Chapathi (wie auch immer man es schreibt,
Brotfladen) ueber offenem Feuer baeckt und die
darueber hoechst erfreuten Servicekraefte der Familie
(zwei junge Maenner namens Gantscher und Gofry oder so aehnlich).

Gastmutti und Tochter, die erschoepft aus Delhi
zurueck sind. Waren mal eben einen Tag zum Shoppen
hingeflogen...!!

Viele Frauen mit Hennatattoos auf den Haenden.
Indischer Frauentag.


So, mache jetzt Schluss fuer heute. Das Feierabendbier wartet. Muss mich heute von Karla verabschieden. Sie hat es tatsaechlich ein ganzes Jahr in diesem verrueckten Land ausgehalten und fliegt morgen nach Kanada zurueck. Darum gehen wir heute zum Abendessen gemeinsam aus.

Bye, lasst es euch gut gehen,
eure schon halb indische (ich mache staendig diese
dumme Kopfbewegung ohne es zu wollen) Juliane

14. Happy Diwali

Juliane Kruppke schrieb am 31.10.05 14:01:43:

Hallo ihr Lieben, Happy Diwali!

Zunaechst einmal die Malaria: Ich werde nie erfahren,
ob ich sie hatte oder nicht. Zum Bluttest meinte der
Arzt nur, ich sei wieder gesund, was an der richtigen
Medikation liegen wuerde...Nun, wenigstens in Punkt
eins Stimme ich mit ihm ueberein. Danke fuer die
tausendundein Besserungswuensche!! He Rike du faule
Socke, warum hast du dich nicht bei deiner totkranken
Schwester gemeldet, hm?

Uhwa, gerade rannte eine Maus um meine Fuesse. Na
Mutti, das waere doch was fuer dich..

Nun aber zum Thema des Tages bzw. der Woche: Diwali!!

Es ist merkwuerdig, enen Feiertag zu begehen, der
einem selbst nichts bedeutet. Sinnentlehrt. Es geht um den Sieg des Guten ueber das Boese, die Liebe ueber den Hass, Weiss ueber Schwarz und ganz gewiss das Licht ueber die Nacht:

Die Inder ticken voellig aus. Seit ich angekommen bin, ist keine Nacht ohne Feuerwerk vergangen. Dabei
scheint das Licht weniger von Bedeutung als der Krach, der damit veranstaltet wird. Mit farbigen Pulver werden Blumen vor die Hauseingaenge gemalt, ueberall stehen Verkaustaende fuer neonfarbenen Hausschmuck und der orangen Ringelblumenblueten und nach und nach hat sich die Stadt in ein Blumenmeer verwandelt. Taeglich werden die Fenster und Tueren mit neuen Blumenarrangements geschmueckt. Auch die Menschen putzen sich raus, tragen den besten Schmuck, die glaenzendsten Armreifen, die guten Seidensaris und natuerlich bluehen auch auf den Haenden der Frauen die lieblichsten Blumen. Henna. Auch meine Hand leuchtet feuerrot, waehrend sie fleissig mit der hakenden Tastatur kaempft. (Darum bist du auch so rossartig, liebe Doro.) Die Tiere werden angemalt, die Kamele bekommen Muster ins Fell geschoren und sogar die Strassen werden etwas vom Unrat befreit. Trotzdem muessen die Kuehe nicht hungern, denn nun gibt es taeglich die verbluehten Blumen des Tages. Das riecht besser und sieht auch netter aus.

Gestern habe ich mit Esta (halb Maori) und mit Vikram
(halb USA, halb Indien) gemeinsam eine Fahrradrikscha
fuer eine Stunde gemietet. Wir haben uns durch die
Altstadt, die Pink City fahren lassen. Sowas habt ihr
noch nicht gesehen: Lichter ueberall. Lichterketten,
Lichternetze, Figuren aus Licht, blinkend, bunt,
ueberall, taghell. Faszinierend!! Wirklich jedes Haus, jedes Geschaeft, selbst die unfertigen Haeuser, alle sind mit Lichtern gechmueckt. (Na Bjoern, das laesst dein Herz doch hoeher schlagen, oder?)

Ich habe gleichmal einen ganzen Film verknipst...Ihr
Armen, wenn ich erst wiederkomme...

Die Hindus verehren ihre Goetter auf ziemlich allumfassende und vor allem kitschige Weise. Superbunte Plakate (so schrill, dass sie schon wieder
cool genug sind, um wg-tauglich zu sein), Aufkleber
mit Symbolen, Bindis, Skulpturen, der Rummel um die
Festtage...Ich glaube, dass die Christen hier darum
aehnlich kitschige Dinge besitzen. Irgendetwas muessen sie dem Hinduismus schliesslich entgegensetzen. Riesige Kreuze um den Hals, Jesus als Handylogo, schrille Bildchen mit Spruechen ueber Gottes Liebe und dergleichen mehr. Ich finde das hoechst interessant und werde das noch etwas weiter beobachten. Das erstmal fuer heute,
eure Juliane

P.S.
Mathias: Von wegen mach keinen Scheiss...versuch das
mal, wenn du tagelang Durchfall hast.

Nikos: Erzaehl ruhig weiter von irgendwelchen
Festgelagen. Es ist ja nicht so, dass ich deutsches,
(sogar kantiges, also ueberdeutsches) Essen vermissen
wuerde...(Schnief!)
Im uebrigen gebe ich dir recht. Mich hat der Begriff
auch immer verwirrt.

Elmar: Danke fuer den Anruf! Und gruess den Klenen.
Tat gut, euch zu hoeren.

Motte: Tjaja, dumm gelaufen. Aber viel Spass bei der
Party. Ich denke an euch. Ist bestimmt seltsam, nach
so langer Zeit in der weiten Welt wieder im kleinen
Osterburg einzutrudeln.

Oma und Opa: Ich wollte euch mal ganz lieb gruessen
und sagen, dass ich an euch denke!!

der Rest: Hoert auf mir vom goldenen Herbst zu
erzaehlen. Ich bin voll neidisch. Hier sind es dreissig Grad bis um sechs jemand das Licht ausmacht
und die Heizung spontan auf zehn Grad herunter
schraubt. Darum sind auch alle erkaeltet.

13. Moskitostich

Juliane Kruppke schrieb am 27.10.05 13:55:06:

Hallo ihr Menschen da draussen, die ich stetig zum
Lesen anhalte, wie geht's?

Da ich fuerchte, euch nach und nach zu langweilen,
habe ich mir nun etwas Spannendes einfallen lassen.
Was haltet ihr also von ... Malaria?

Ich kann euch sagen, was ich davon halte: Gar nichts.
Nein, ich werde keine meiner Toechter danach benennen. Obwohl diese dann bestimmt echt heiss aussieht. So ca. 40 Grad...

Aber macht euch keine Sorgen, ich habe mich nicht im
Fieberwahn halbtot durch die Stadt geschleppt, nur um
euch davon berichten zu koennen. Nene, bin vom kleinen Zeh bis in die Haarspitzen voll mit Medikamenten, Pillen in lustigen Farben und allerhand anderer netter Drogen.

Nachdem der Arzt todsicher diagnostiziert hat, dass
ich Malaria (seiner Meinung nach die schlimmste Sorte, aber nicht die, die wiederkehrt ...ja,
merkwuerdig...)habe und mir heute die dritte Spitze in mein Sitzfleisch verpasst wurde, konnte ich nun auch endlich einen Bluttest machen. Der wuerde naemlich auch mich davon ueberzeugen, dass ich tatsaechlich Malaria und nicht bloss ne arg schwere Grippe habe. Na gut, hab zugegebenermassen ne Grippeschutzimpfung, aber trotzdem.

Also zur Beruhigung: Ich bin zwar k.o., aber o.k...:)
Das sah vor zwei Tagen noch anders aus (hohes Fieber,
Schuettelfrost, heiss, Schweissausbrueche, Durchfall,
schlecht, uebergeben_was eben so alles dazu gehoert).
Trotzdem aehneln die Symptome doch auch arg der
Grippe, hmm. Darum warte ich mal ab, was der Bluttest
sagt, bevor ich mit exotischen Krankheiten angebe.
Trotzdem koennt ihr die Genesungskarten ja schonmal
abschicken, ihr habt ja die Adresse.

Uebrigens: Falls ihr mich je besuchen kommt: werdet
nicht krank. Erstens gibt es hier kein Zwieback,
sondern nur scharfes Zeug (das Einzige, das ich essen
kann, bringt mir Esta von McDonald, Fastfood, wie
gesund), zweitens keine vertrauenserweckenden Aerzte
und drittens rauben einem die Apotheken den letzten
Nerv. Ich hatte schon ganz vergessen, wie Quecksilberthermometer aussehen.

Zunaechst einmal ist Indien polychron, das heisst, es
werden mehrere Dinge gleichzeitig abgewickelt. So auch die Patienten. Man sollte also vie Geduld mitbringen und kriegt ausserdem noch gratis praesentiert, was den anderen so fehlt. Ebenso die Apotheken. Die bewahren die Pillen oft ohne Verpackung nach einem wahrscheinlich nicht vorhandenen Kartonsystem. Die Tabletten werden je nachdem wieviele man verschrieben bekommen hat, abgezaehlt und abgeschnitten. Das Suchen nach den richtigen Kuegelchen dauert also und wenn man dann noch bedenkt, dass immer mehrere Menschen gleichzeitig bedient werden...

Aber dafuer ist es billig. Traurig aber wahr, hier
kann ich es mir sehr viel eher leisten, krank zu sein. Waere aber trotzdem lieber gesund!
Ausserdem langweile ich mich gerade und das einzige,
das mich bewahrt, daran zu Grunde zu gehen, sind die
CDs der Osterburger (Danke Leute!!)und die Hoerbuecher der Anne (Dankeschoen!!)

Und falls hier jemand ueber aerztliches Fachwissen
verfuegt, was ich meinen ichbrauchkeinenbluttestzumachendennichkannihrandernasenspitzeansehenwasihrfehlt-Doktor ja nicht gaenzlich absprechen moechte, dann sage er mir doch, ob Pyrexia nur fuer Fieber steht oder auch eine der drei Malariasorten naeher bestimmt.


So ihr lieben, muss jetzt damit weiter machen, gesund
zu werden. Denke viel an euch.

Juliane

P.S. Mit fast 40 Grad Fieber nachts hinten auf einem
Moped sitzend auf dem Weg ins Krankenhaus durch den
indischen (!!!) Strassenverkehr zu rauschen zaehlt auf alle Faelle zu meinen Top Five der funky Nahtoderfahrungen.

15. Bossparty

Juliane Kruppke schrieb am 05.11.05 08:54:48:

Hallo liebe Leserschaft,
habe etwas Zeit verstreichen lassen und nun kann ich
mich nicht entscheiden, welches Thema diese mail
bekommen soll. Im Angebot stehen:
1) Bollywood (ich weiss genau, wer von euch jetzt
bitte, bitte, aufschreit, und wer stoehnt)
2) Govind und Ganja
3) Bossparty
4) Diwalirest.

Mal sehen, ich fange mal mit drittens an, da das noch
so frisch in meinem Gedaechtnis ist. Gestern Abend waren ich zum Dinner bei meinem Boss eingeladen. Eine kleine Feier unter den engsten Freunden. Ungegfaehr hundert Leute waren da...
Die Feier fand zu ehren des sieben Monate alten Sohnes seines Neffen statt. Dieser bekam naemlich gestern zum ersten Mal feste Nahrung. Eine Zeremonie, Fotos, hundert Menschen starren auf das kleine Geschoepf und sehen dabei zu, wie es etwas lernt, das ihm im Leben noch oefter begegnen wird: Entwoehnung.
Das arme Ding, aber es war ganz brav, hat nicht geweint und unter Jubelrufen seinen ersten Bissen Chapati(Pfannkuchenbrot) verputzt. Wahrscheinlich mit
Spice...Somit wuerde den Indern das scharfe Essen
nicht mit der Muttermilch eingegeben, aber nahe dran.

Dieses Ereignis wurde ausgiebigst gefeiert. Ein
Riesenbuffet, das beste indische Essen, das ich bisher kosten durfte und heisse Milch (suess und etwas scharf, natuerlich), die ein Mann gekonnt zwischen zwei Tonkruegen hin- und wieder zurueck fuellte. Faszinierend. Und lecker. Ueberhaupt konnte man zusehen, wie das Essen bereitet wurde. Die Feier fand auf drei zusammenhaengenden Haeuserdaechern statt. Auf zweien waren Decken zum sitzen ausgebreitet, auf dem dritten arbeiteten Servicekraefte an unserem Essen.

Das Schoenste waeren die Saris. Im Hintergrund der
dunklen Nacht und den Lichtern Jaipurs leuchteten die
vielen Farben noch intensiver. (Liebe Karo, eigentlich hatte ich geplant, dir etwas Saristoff mitzubringen, damit du dir was Schoenes draus naehen kannst. Aber mit der Auswahl bin ich vollkommen ueberfordert. Hast du eine Lieblingsfarbe?)
Saris: einfarbig oder bunt wie ein Regenbogen. Mit
Mustern, Blumen, Pailetten, Spiegeln, Silber- und
Goldfaeden oder schmucklos. Aus Seide oder Tuell oder
Material, das ich nicht benennen kann. Schwerfeallig
oder im Wind wehend. Dazu Schmuck. Den tragen hier uebrigens auch die Maenner: Ketten, bunte Armreifen mit Schmucksteinen(dafuer gibt es extra Laeden, meine sind rot mit Spiegelstuecken), Ringe an Fingern und Zehen (verheiratet) und soweiter. Nicht zu vergessen die Bindis. Es war ein Fest fuer die Augen. (Mensch
Teresa, warum hast du eigentlich nicht so eine Feier
fuer Anna geschmissen?)

Diese Feiern werden uebrigens zu den verschiedensten
Lebensabschnitten zelebriert. So zum Beispiel, beim
ersten Schritt. Wie hat man sich das vorzustellen?
Mein Liebes Kind, ich habe zu morgen hundert Leute
eingeladen. Ich will dich ja nicht unter Druck setzen, aber stell dich schonmal darauf ein, dass du morgen anfaengst zu laufen...Hm?

Auweia, diese mail ist schon wieder so lang. Ich
schreibe eich einfach noch eine, die koennt ihr euch
ja dann fuer die Woche aufheben.
Eure Juliane

P.S. Da ich in der letzten Zeit soviele Telefonate
erhalte, worueber ich mich echt freue: Da ihr jetzt
Winterzeit habt, betraegt die Zeitdifferenz zu mir
jetzt eine Stunde mehr, also 4,5 Stunden. Ohne dass
ich etwas getan habe, seid ihr jetzt also die
Dimension Zeit betrachtet, noch weiter weg.

16. Bollywood

Juliane Kruppke schrieb am 05.11.05 09:34:18:

Soviel dazu. Das war eins von vier. Bleibt noch: viel
zuviel zu schreiben und lesen.:)

Machen wir mal weiter mit Bollywood. Denn ich kann mir schon die enttaeuschten Gesichter von Ria und Anne vorstellen, nachdem ich mich nicht dafuer entschieden habe.

Vorgestern hat mich Esta ins Kino geschleppt. Es scheint, als sei es ihre geheime Mission, jede Minute
meines momentanen Lebens mit Entertainment zu fuellen. Da ist Bollywood natuerlich genau das Richtige. Wir waren im Jaipurer Kino, was beruehmt ist, weil es das erste in Indien war und weil es wirklich krass aussieht. Von aussen ist es eigentlich wenig spektakulaer, aber innen hat man das Gefuehl, man befindet sich im inneren einer zuckerbunten
Sahnetorte(die Inder lieben diese). Rosa, Pastel, hohe Waende, viele Spiegel, Muster, alles verschlungen. Kurz um: es ist die umgesetzte Disneyvariation von Tausend und einer Nacht. Atemberaubend kitschig!
Bollywood eben.

Auch die Vorstellung war ganz typisch indisch. Da
Familie und Freunde (ein gaaanz weitgefasster Begriff, man koennte ihn auch die restliche Menschheit nennen) sehr wichtig fuer die Inder sind, wuerde niemand von ihnen auf die Idee kommen sein Handy wegen so etwas Profanem wie Kino auszuschalten...Oder rumzumotzen, wenn jmd, waehrend des Films telefoniert.

Und da sind wir beim Kern der Sache, bzw. bei der
Sahne des Kuchens angelangt: der Film. Der neue, er so heisst, wie die Leute im Film reden: irgendwas in
Hindi..Aber bei Bollywood weiss man eigentlich auch
ohne Sprachkenntnisse, was passiert: Schrille
Liebesgeschichte, Musik und Tanz, Happy End. Leichte
Kost, dafuer drei Stunden lang und mit viel
Unterhaltungswert.

Eigentlich...Oder aber der Film spielt in einer
Nervenheilanstalt, enthaelt Zuege von "einer flog
uebers Kuckuksnest" (geklaut), zeigt eine der
traurigsten Liebesgeschichten, die man sich vorstellen kann und endet: Tragisch!! Eine Revolution in Bollywood? Ein ernstes Thema mit einem kritschen Blick und der Verweigerung eines Happy Ends?
Ja und Nein. Auch wenn mir ein Happy End lieber
gewesen und ich an Bollywood glaubend fest damit
gerechnet habe(!), gwinnt der Fim dadurch enorm.
Bleibt aber dennoch unrealistisch und schrill.
Tanzende Insassen, Jokes ueber Elektroschocks und eine Welt, die nicht existiert. Die Zuschauer klatschen und johlen. Sie lieben ihren
Helden, fiebern mit, versinken in dieser Welt - die
alles moegliche zeigt, nur nicht Indien. Ein Inder hat mir erklaert, dass Film und Fernsehen die Welt so zeigt, wie sie sich alle wuenschen. Sauber, reich, viel weniger Leute, kein Laerm, kein Gestank usw.

Ganz im Gegenteil zu Europa und speziell Leipzig mit
Dokfilmfestival, Reality-TV und dem Drang zur
Authenzitaet, um ernst genommen zu werden. Genau darum faellt es uns schwer, Bollywood ernstzunehmen. Esta und ich haben immer an den Stellen lachen muessen, die eigentlich ernst gemeint waren...
Man muss Bollywood anders verstehen. Eine Traumwelt.

So funktionieren auch die indischen Soaps. Die Musik
ist immer hoechstdramatisch, die Kamera schnell, die
Schauspieler ueberspielen, als waeren sie im Theater.
Ausserdem sind die Frauen sexy, die Haeuser luxerioes. Die Diskrepanz zur Wirklichkeit ist riesig. Warum gefaellt das den Indern? Ist danach die
Wirklichkeit nicht noch wirklicher? Jeder Traum ist
mal vorbei. (Es sei denn, man ist der kleine Koenig
Dezember, nicht wahr liebe Anne.)

Zwei Bekannte von mir (Pussi(Mann) und Laura (seine
Freundin) aus Finnland) haben durch Zufall in einem
Bollwoodfilm mitspielen koennen. Beziehungsweise
Tanzen und Lachen muesen fuer einen ganzen Tag lang!
Gerade sie haben gemerkt, wie gross der Unterschied
zwischen dem, was der Film zeigt, und dem, was er
nicht zeigt, aber da ist, wirkich ist.

Soviel zum Thema Bollywood. Ob die Filme jetzt kritischer werden, die Enden trauriger und was das
fuer die indische Gesellschaft bedeuetet: ich werde
euch auf dem Laufenden halten. Und ich werde
versuchen, den Film aufzutreiben.

Bye, bye,
Juliane

17. Restdiwali

Juliane Kruppke schrieb am 05.11.05 09:58:07:

Na gut, ich habe mir gedacht, ihr seid so oder so
erschlagen von den mails, da kommt es auf eine mehr
nicht an und ich liebe es nun einmal zu schreiben, wie ihr sicherlich schon mitbekommen habt. Wow, der Satz ist rein laengentechnisch ja so lang, dass er fast von 'nem Philosophen stammen koennte.. :)

Also, was fehlt noch? Restdiwali, Ganja und Govind.

Restdiwali:
Diwali, dieses Mischungsfest aus Christmas und
Silvester, hat es echt in sich. Viele Traditionen z.B. aufraeumen, Tueren und Fenster oeffnen, Lichter
anzuenden und so Laxmi (oder so aehnlich) anlocken.
Das ist die Gluecksgoettin. Der Laxmi-Tag wird auch
als Start eines neuen Jahres, vor allem des
Geschaeftsjahres gesehen. An dem Tag sind (nachdem die ganze Nacht gefeiert wurde) die Geschaefte geoeffnet, weil Umsatz an diesem Tag Glueck bringt. Ein erfolgreiches Jahr garantiert. Das bedeutet, dass die Verkaeufer ganz verzweifelt Kundschaft wollen,
spezielle Preise haben und fast alles unter Wert
verkauft wird. Ich habe mich an diesem Tag auf dem
Schmuckmarkt herumgetrieben und tatseachlich 5 Euro
fuer Schmuck ausgegeben...(ein Silberring mit
aufklappbarem Giftfach wie im Film, wer weiss, wozu
mans mal braucht...) und Tigeraugenohrringe.
Im uebrigen heisst es im Loneley Planet, dass Edel-
und Halbedelsteine in Jaipur so billig sind, wie
nirgendwo sonst auf der Welt. Irgendwelche Wuensche :)

Ausserdem: Milliarden Lichter, aber das habe ich euch
ja schon berichtet. Feuerwerk noch und noecher und
immer noch. Es knallt die ganze Nacht. Klingt so, wie
ich es nur aus Kriegsfilmen kenne. Michael Kanno waere begeistert... In Indien muss es immer laut sein. Also explodieren die Raketen und die spruehenden Lichter zum Schluss. Nicht zu vergessen die Knallkoerper, die fast augenblicklich explodieren, wenn man sie anzuendet. Ein Wunder, wenn niemand seine Hand dadurch verliert. Aber die Inder sind furchtlos. Barfuss springen die Kinder auf dem Funkenregen herum.
Ich habe Diwali im Kinderheim gefeiert. Mir die
heilige Zeremonie vor einem kleinen, mit Ringelblumen
geschmueckten Altar angesehen. Raucherstaebchen,
Hindi-Gebete, gluehende Kinderaugen, Gesang. Und zum
Schluss gab es indische Suessigkeiten, die so suess
sind, wie die indische Herzhaftigkeiten scharf.
(graesslich, Karies garantiert)

Nun ist Diwali ueberstanden. Aber das naechtliche
Feuerwerk haelt an. Es folgen moslemische Feiertage.
Die Nachtluft riecht immer wie an Neujahr in
Deutschland.
Wie immer in Indien ist alles etwas viel. Aber es sind nun einmal auch viele Menschen. Meiner Meinung nach ist das der Hauptunterschied zu Deutschland.

Eure Juliane, die euch auch weiterhin mit emails
quaelen wird.

P.S. Dieses Lichtermeer ist so, wie ich mir Las Vegas
vorstelle.

18. Ganga und Govind

Juliane Kruppke schrieb am 05.11.05 10:33:52:

Wow, wer bis hierhin durchgehalten hat: Du hast Power! Ich hoffe, ihr habt euch die mails ausgedruckt und ueber die Woche verteilt gelesen...

Also last but noy least: Ganja und Govind. Das sind
zwei der Servicekraefte meiner Familie. Sie sind die
Maedchen fuer alles, kochen taeglich unser Essen und
habe daher auch taeglich mit Esta und mir zu tun. Sie
sind so alt wie ich und ihr Leben ist vorbestimmt.

Sie wohnen in einem Schuppen hinterm Haus, besitzen
fast nichts, nicht einmal echte Betten. Immer noch
besser als ein anderer Mann, der ebenalls fuer die
Familie arbeitet und im Flur auf einer Eisentruhe
schlaeft. Und immer noch besser als die Rikschafahrer, die in ihren Rikschas wohnen. Und immer noch besser, als die circa 20 Menschen, die auf der Verkehrsinsel wohnen, an der ich fast taeglich vorbei komme. Und immer noch besser als die Menschen, die nirgendwo wohnen koennen...

In Relation gesehen, behandelt die Familie sie also
nicht schlecht. Niemandem wuerde es einfallen, das zu
denken. Auch den Servicekraeften selbst nicht. Sie
behanlet sie wie Menschen einer untergeordneten
Klasse. Und das dem so ist, darin sind sich auch alle
Beteiligten einig.

Da wir soviel mit Ganja und Govind zu tun haben, sie
genauso alt sind und wir sie recht gern moegen (lieber als einige Familienmitglieder), fand ich ihr Schicksal schon immer interessant. Also habe ich das juengste Kind der Familie heimlich ausgefragt.
Ganja und Govind kommen aus Nepal. Ganja war sechs
oder sieben, als er zu der Familie nach Indien kam.
Wie hat man sich das vorzustellen? Sieben Jahre,
allein, ein neues Land...Schnell nachgerechnet war noch keins der Kinder auf der Welt. Wie hat die Familie den Jungen, der sicherlich veraengstgt war, behandelt? Musste er damals schon im Schuppen schlafen?

Der Kontakt kam ueber einen Freund der Familie zu
stande, der die nepalesische Familie kannte und
wusste, dass die Andrews noch eine Servicekraft
brauchten. Musste Ganja also gleich arbeiten? Ich
wuerde mich gern mal mit ihm unterhalten, aber leider
kann er nur die paar Brocken Englisch, die er
aufgeschnapp hat. Aber Hindi koennen nun beide. Smarte Jungs. Auch zeigt Ganja mir stolz sein Kreuz und erklaert mir, dass er Christ ist. Voellig von dieser Familie eingenommen. Er war nur noch einmal in Nepal bei seiner Familie.

Wie war das, als die Kinder klein waren? Grosse
Bruderfunktion? Nun schauen sie auf ihn herab und er
verrichtet jede Aufgabe voller Freude.

Govind kam erst spaeter. Aber auch er muss noch recht
jung gewesen sein. Er hat sehr feine Gesichtszuege und schaut immer erst sehr ernst, bevor er lacht. Nun ist er fort. Einfach so. Verschwunden. Keiner weiss wohin.
Na, ich vermute, dass Ganja es weiss. Aber der haelt
dicht. Ich hoffe, dass er nur ueber Diwali abgehauen ist.Weg, mit einem Bus nach Nepal.
Die Familie nimmt es recht gelassen hin. Er ist
schlieslich ersetzbar. Gestern habe ich Ganjas Cousin
in der Kueche getroffen...

Wie kann man nach sovielen Jahren, nachdem man dort
aufgewachsen und alles gemeinsam mit diesen Menschen
erlebt hat, nur immer noch so wenig zur Familie
gehoeren? Diese verriegelt alle Tueren, aus Angst, von ihren Angestellten beklaut zu werden.

Tatsaechlich sind Esta und ich beklaut worden. Am
Laxmi-Tag. (Irgendwie hat das Glueck nicht so recht
verstanden, was ich will.) Die Familie hat ganz arg
Ganja im Verdacht. So ein Scheiss! Der wuerde uns nie
beklauen. Es ist fast nur Frauenschmuck und anderes
Zeug von Esta weggekommen. Von mir wurde lediglich
mein silberner Kreuzanhaenger samt Kette geklaut. (by
the way: mein Polenring ist uebrigens zerbrochen,
schluchz) Aha, also ein Christ. An Laxmi wuerde auch
kein Hindu klauen. Ganz boeses Karma. Das engt den
Kreis der Verdaechtigen natuerlich ein.
Eigentlich schliessen wir immer ab, aber Esta war zu
Hause, auf dem kleinen Balkon eine rauchen, waehrend
der Dieb unverfroren ins Zimmer kam. Wahrscheinlich
wusste er gar nicht, dass Esta jederzeit vom Balkon
ins Zimmer kommen konnte. An diesem Tag waren sehr
viele Menschen im Haus. Freunde und Familienmitglieder der Andrews, die auf unserem grossen Balkon, das Feuerwerk beobachteten...Wir haben einen Verdacht und wissen, auch das eines der Kinder etwas gesehen hat. Aber man kann in Indien keinen Verwandten oder Freund beschuldigen. Genauso wenig wie wir von dem Kind verlangen koennen, jmd. bloss zu stellen. So ist Indien.

Ich hoffe, dass es Govind gut geht. Dass er nicht auf
der Strasse endet. Und ich hoffe, dass Ganja sich
jetzt nicht so allein fuehlt, nachdem sein einziger
Freund fort ist.

Falls Govind zurueckkommt, ihr werdet es erfahren.
Das wars fuer heute. Versprochen!
Eure Juliane

19. Ekelmail

Juliane Kruppke schrieb am 26. 11. 2005

Hallo ihr Lieben,
sitze gerade mit nem fetten Lassi in einem kleinen
drei-Computer-Cybercafe. Wollte euch schnell danke
fuer die lieben Geburtstagsgruesse, Anrufe, mails
sagen. Wer jetzt denkt: shit, Juliane hatte ja
Geburtstag, dem kann ich nur folgendes sagen: Don't
worry, morgen loesche ich dich aus dem Emailverteiler. :)

Mein Geburtstag war zerstoerend gut. Zuviel Alkohol,
zuwenig Schlaf und nun, wo ich auch nicht mehr die
Juengste bin, pfeiffe ich aus dem letzten Loch. Diese
bloede Erkaeltung!
Uah, wie aufs Stichwort hat der Mann neben mir gerade
ganz ekelerregende Wuerghustgeraeusche von sich
gegeben...

Das ist doch mal ein schoenes Thema fuer ne
Massenmail.

Vom Gucken auf die Tastatur laeuft mir Schnupfenkind
die Nase. Und was nun? Schnauben? Na sicher, aber
damit ernte ich immer merkwuerdige Blicke und die
Strassenkinder lachen sich schlapp. Karla, eine
Freundin, hatte einen sechswoechigen Indienkulturkurs, in dem sie auch lernte, den Rotz durch ein stimmiges Luftdrucknasenlochverhaeltnis heraus auf die Strasse zu rotzen. Das sieht man hier staendig. Wer jetzt glaubt, dass die mail nicht ekeliger werden kann...abwarten!

Es ist nicht unhoeflich zu rulpsen. Na Annelie, das
waere doch was fuer dich, hm? Stellt euch die
grazioesen Frauen im Sari vor, die dann ploetzlich
einen Riesenrulps loslassen. Noch ueberraschter ist
man dann, wenn sie ploetzlich ihren Finger in der Nase bohren.

Soweit ich weiss, gelten Koerpersaefte als unrein,
weshlab es Sinn macht, sie so schnell wie moeglich
loszuwerden. Klingt plausibel, wenn ich an die vielen
Maenner denke, die ich taeglich pissen sehe. Ja, so
mus man es wohl sagen. Keine Hauswand ist ihnen
heilig. Es gibt auch oeffentliche Toiletten: einfache
hochgezogene Kachelwaende mit Abfluss. Stinkt wie sau. Da stehen sie dann schoen ordentlich in Reih und
Glied. :) Es sei denn sie hocken. Dann sollte man auf
keinen Fall hingucken!!!

Letzte Woche habe ich gesehen wie neben einem
pinkelnden Mann in einer dieser wunderbaren
Einrichtungen ein Kalb stand und den Boden
leckte...Hm, lecker!

Auch die Frauen raffen oefter mal schnell am
Strassenrand ihre Roecke und pieseln vor sich hin. Im
Prinzip ist die Bushaltestelle, an der ich taeglich
umsteigen muss, ein einziges, grosses, jaemmerlich
stinkendes Klo. Ein paar Meter weiter: die
farbenfrohen Obststaende.

Warum die Maenner sich so oft am Schritt rumgrapschen
muessen, konnte ich noch nicht rausfinden. Ich denke hier leben soviele Menschen, dass die Dinge, die einige vielleicht gewoehnlich heimlich tun (den
Schlueppi gerade ruecken, popeln...), hier von vornherein gar nicht erst versucht werden, geheim zu
halten. Dafuer ist das Land auch zu arm, bedenkt man
der Menschen, die ihre Morgentoilette (waschen etc.)
auf dem Gehsteig, sofern einer vorhanden ist,
verrichten.

So, genug geekelt. Werde jetzt erstmal meinen Lassi in Ruhe zu Ende schluerfen. Bilde mir ein, dass er die Halsschmerzen verringert. Denke oft an euch. Bin
neidisch auf Weihnachtsmarkt und Weihnachtsstimmung,
Gluehwein, Lebkuchen (danke liebe Uta) und vieles
mehr. Der Advent beginnt und es sind immer noch 30
Grad...Und eine neue Erfahrung fuer mich: Ich vermisse den Regen! Speziell Sommerregen.

Liebe Gruesse,
eure 24 Jahre alte Juliane

20. Schweinekalt, Advent und Dhrampal

Juliane Kruppke schrieb am 05.12.2005:

Hallo ihr Lieben,
was man in Indien nicht so alles durchmacht...zum
Beispiel zwei Naechte hintereinander. Ich bin jetzt
fest in aiesec-Klauen. Hat ein bisschen was vom
Karneval in Osterburg: Party, Party, Party.
Dann am Sonntag (nachdem ich die Vierstundennacht
zwischen zwei schnarchenden, polnischen Freunden in
der Besucherritze verbringen durfte, deren Betten auch
noch verschieden hoch waren) Katerfruehstueck auf dem
Dach eines Freundes. Dank Kochen und Einkaufen konnten
wir mit dem Essen dann auch schon um drei anfangen.
Fruehshoppen. Wer haette gedacht, dass das Bier dann
schon wieder schmeckt? Aber eigentlich will ich euch
von der Aussicht erzaehlen. Von dem Dach aus gesehen
liegt einem die Stadt naemlich zu Fuessen. Der grosse
moderne Glasfensterturm samt Leuchtschrift ebenso wie
die Tempel. Die Wuestenstadt ist eingekesselt von
einer Bergkette, auf deren Wimpfel in einigen
Abstaenden die Forts prangen. Wirklich schoen. Um
sechs ging dann das Licht aus und ich konnte mich
gleich nach dem Advents-Fruehstueck (zwei Kerzen, eine
auf einer Bier - die andere auf einer Whiskeyflasche
)ins Bett begeben. ;)
Advent ist uebrigens nicht so bekannt wie ich dachte.
Beispielsweise wird es in Polen nicht gefeiert. Lieber
Onkel Matthias: Wo wird denn Advent gefeiert? Auch die
indischen Christen kennen nicht die deutsche
Adventszeit mit jeweils einer Kerze mehr usw. Wo kommt
diese Tradition ueberhaupt her? Waere doch mal eine
interessante Predigt...

Aber apropos Licht aus, Sonne weg usw. Es ist
schweinekalt. Hab etwas gezoegert, euch das zu
erzaehlen, aber es ist wirklich so. Staendige
Gaensehaut. Ein spontaner Nachttemperatursturz um 20
Grad. Waere ja in Ordnung. Letzte Nacht hatten wir
sechs Grad. Waere ja in Ordnung, wenn ich in
Deutschland waere. Deutschland: das Land der
Isolierungen, Glasfenster, Heizungen, Badewannen (oder
ueberhaupt fliessend warmes Wasser), Winterstiefel,
Daunenjacken, Gluehwein (muesste ja uebrigens nen
Permanent-Kater haben, da soviele von euch nen
Gluehwein fuer mich getrunken haben. benutzt mich
nicht als Ausrede fuer eure Alkoholexzesse :))
Mit anderen Worten: auch in meiner Wohnung sind es
sechs Grad nachts...Ich frier mich tod. Wollsocken,
lange Hose, Schlafsack, dicke Decke und
trotzdem...kalte Nase!! Ich brauche den ganzen Tag um
wieder warm zu werden und habe ich es geschafft, ist
es auch schon wieder kalt draussen.
Aber die Inder frieren noch weitaus mehr als ich.
Rennen in Decken gehuellt rum. Husten sich die Lunge
aus dem Hals. Wolljacken ueber Saris, hautfarbene
Struempfe in Flip Flops, Kopftuecher ueber den
schoenen Schleiern. Alle reden davon wie kalt es ist,
was es meiner Meinung nach auch nicht waermer macht.

Also Abenteuer Hose kaufen. Mit nur einer warmen Jeans
und dem Fluch von Handwaesche (zu Hause werde ich mich
vor die WAMA hocken, ne Schoko knuspern und meiner
Waesche beim sauber werden zugucken. Herrlisch! Etwas
richtig sauberes habe ich eigentlich gar nicht
mehr..wie alle) war ich gezwungen, mir ne Jeans zu
kaufen. Hab ganz schoen suchen muessen, um einen
"Westladen" zu finden. Meine neue Jeans hat mich 1200
Rs gekostet. Vermutlich das Teuerste meiner ganzen
Reise (ca 24 Euro). Davon haette ich auch 100
Wasserflaschen kaufen koennen...Ich rechne hier immer
in Wasserflaschen, sowie ich nach der Euroeinfuehrung
zunaechst in Milchkaffee gerechnet habe.


Und nun noch schnell zu Dhawarampal, meinem
Floetenschueler. Das ist, lieber Philipp, die Stelle,
die du ueberspringen kannst.
Er ist etwas ganz besonderes, ein Traeumer. Neulich
haben wir auf dem Dach gefloetet. Sonnenschein, Ruhe,
Baumwipfel. Ein fuer Indien untypischer Moment. D. hat
versucht, die Papageien mit seinem Spiel anzulocken.
Er ist wirklich talentiert, kann aber mit seinen
kleinen Fingern (ich glaube, er ist erst sechs Jahre
alt) die Floete nicht so gut greifen und ich kann hier
leider keine kleinere kaufen. In Sekundenschnelle
lernte er Pfeiffen und wenn ich eine Melodie spiele,
dann kann er sie aus dem Kopf nachsspielen. Nach einer
kleinen Schmetterlingsbeobachtungsverschnaufspause (er
hat wirklich einen Blick fuer die kleinen Dinge in der
Natur) habe ich ihn etwas Zeichnen lassen. Eigentlich
wollte ich mit ihm Noten schreiben ueben, aber er
zeichnet auch so gern (und gut), dass ich ihn einfach
malen lassen habe. Er hat schliesslich sonst nicht die
Moeglichkeit dazu. Also hat er seine Vorstellung von
Deutschland gezeichnet und mir zu verstehen gegeben,
dass er gern mit mir mitkommen wuerde...Herzkrampf!
Ich schwoere, waere ich verheiratet, ich wuerde ihn
adoptieren. Er hat dann Flugzeuggeraeusche nachgeahmt.
Er erinnert mich, wie schon gesagt, etwas an Steinki.
Es ist unglaublich wieviele Geraeusche er nachmachen
kann. Dann hat er sich eine Hantel der groesseren
Jungs geschnappt, mich die Augen schliessen lassen und
die Hantel langsam, dann schneller auf dem Boden hin
und her gerollt. Ehrlich, es hat sich original wie ein
abhebender Hubschrauber angehoert.
Spaeter hat er mir gezeigt, wie schoen es ist, wenn
man vorsichtig in die Asche der Feuerstelle blaest und
den kleinen Ascheflocken beim Fliegen zusieht.
Ich: It is like snow!
Er: It is beautyful!
Im Prinzip ist sein Englisch so schlecht, dass es gar
nicht vorhanden ist. Aber da wir beide recht kreativ
sind, koennen wir uns trotzdem etwas unterhalten. Aber
ich wuerde so gern richtig mit ihm quatschen, seine
Welt mit seinen Worten verstehen koennen.
Ich habe seine Akte mit nach Hause genommen. Bei der
Bewertung seines Verhaltens steht geschrieben, dass er
sehr unartig sei. Voellig unverstanden und
unterfordert, wuerde ich dagegen sagen.
Seine Geschichte ist gluecklicherweise nicht so
schlimm wie die vieler anderer Kinder. Seine Mutter
starb an Krebs und auch sein Vater ist schon lange
tot. Irgendwie kam er als ein oder zwei Jahre alter
Junge in die Obhut eines Rikschafahrers, der ihn am
Bahnhof liegen liess, waehrend er arbeitete. Also war
er fast die ganze Zeit allein und kam schliesslich ins
Heim. Daran wird er sich aber hoffentlich nicht
erinnern koennen.
Soviel zu ihm. Ich musste euch einfach mal von ohm
erzaehlen. Dabei hat jeder Junge in meinem Heim etwas
Besonderes. Aber D. etwas ganz Beonderes. Er verdient
eine bessere Lehrerin, die ihm Schlagzeug und Zeichnen
beibringen kann und seine prache spricht. Klar istces
zuviel verlang, die musischen Veranlagungen zu
foerdern, wenn es ums nackte ueberleben geht. Und
trotzdem. Habt ihr mal Schlafes Bruder gelesen? Die
ganzen verhinderten Genies dieser Welt...

Nach soviel Traendendruesendruck hier nun wie
angekuendigt meine Bankverbindung:
Kreissparkasse Stendal
Bankleitzahl: XXX
Kontonr.: XXX
Name: Juliane Kruppke

Wer also meint, drei, vier Euros entbehren zu
koennen...Das Geld kriegen die Kinder (in welcher Form
weiss ich noch nicht so genau) und die Fotos kriegt
ihr.
Eine schoene Weihnachtszeit,
Juliane

21. Verkaterte Hausaufgaben

Juliane Kruppke schrieb am 13.12.2005:

Hallo ihr Lieben,
habe ich euch eigentlich schon gesagt, dass ich eine
neue Mitbewohnerin habe? Sie heisst Gabriele (mit
exotischem Akzent), kommt aus Brasilien und ist sehr
nett, lustig und so unglaublich naiv, dass sie ohne
mich nicht nur in Indien verloren waere. Es macht
Spass, ihr zu helfen, sich in Indien einzugewoehnen.
Durch sie merke ich, wie gut ich mich eingelebt habe
und dass zuviele Dinge fuer mich schon so alltaeglich
sind, dass ich sie euch gar nicht berichtet habe.
So zum Beisiel:

Indische Frauensocken sind zwischen grossem Onkel und
restlichen Zehen getrennt.

Einige Maenner schieben kleine Wagen vor sich her und
wiederholen staendig denselben Ruf, der Menschen, die
des Hindi maechtig sind, verraet, was sie verkaufen.
Also Blumen, Gemuese, Snacks, Erdnuesse, die geroestet werden, was koestlich riecht und vieles mehr.

An den Strassen gibt es Staende oder kleine Shops, wo
frischer Annanassaft oder, noch leckerer, Papayasaft
verkauft wird (ca 5 Rs.)

Es gibt in Indien keine Nagelscheren, sondern nur
Naegelcutter zu kaufen.

Ich frage mich taeglich, wo all die Blumen (in dieser
Wuestengegend) wachsen, die taeglich an unzaehligen
Staenden verkauft werden, um die kleinen Tempelzimmer
zu schmuecken, die in keinem Haus fehlen. Ich vermute, ich wuerde auch oefter zur Kirche gehen, wenn sie neben meinem Zimmer liegen wuerde.

Es wimmelt in Rajasthan von Kuehen, Hunden und Voegeln (gruenen Papageien), aber es gibt kaum Katzen.

Typisch rajasthani: Spiegel in den Gewaendern.

Aolkohol trinken ist auf der Strasse verboten. Ein
King Fischer Lager (von dem du, lieber Alex,
natuerlich nen Kronkorken kriegst) sollte 49 Rs.
kosten.

Indische Marmelade ist das Letzte.

Inder haben milliarden Sorten von Keksen in allen
Farben und Geschmacksrichtungen. Das kann nicht gesund sein.

Die Orangen sind gruen. (verrueckt, ich meine, wenn
man so heisst, wie ne Farbe, aber anders aussieht.)
Ich brauchte einen Monat, um zu schecken, dass das
ueberhaupot Orangen sind. Sind aber lecker suess.

Die Karotten, ebenfalls sehr suess, sind rot.

Uhren gehen grundsaetlich falsch.

Die Abwasserkanaele sind offen. Hm, was ein Duft. Hat
meine romantische Ansicht ueber das alte Rom gaenzlich zerstoert.

Die Rikshafahrer leben in ihren Rikshas und bekommen
dahin sogar ihre Zeitung geliefert.

Apropos Zeitung, eine traurige Geschichte aus den USA:
Ein Maedel, die allergisch gegen Erdnuesse war, ist
erstickt, nachdem sie ihren Freund gekuesst hat.
Dieser hatte kurz zuvor Erdnussbutter gegessen.
Kusskomplex fuer den Rest des Lebens.

Saris darf nur tragen, wer verheiratet ist.

Apropos indische Hochzeit: Die Familie der Braut muss
alles organsieren und bezahlen. Essen, Musik,
Flugtickets, Hotels, Geschenke (Kleider, Goldschmyck
etc.) fuer die andere Familie usw. Denn schliesslich
wird die Tochter fuer immer in die Obhut der FGamilie
des Mannes gegeben (und zieht somit zu ihm). Bin Mitte Jan. zu einer eingeladen. Kann lustig werden, denn Hochzeiten werden dazu genutzt, Braeute fuer den
Sohnemann ausfindig zu machen...

Der Mond steht Kopf. Die abnehmend-zunehmend-variierende Seite haengt schraeg nach unten.

Und nach dieser tollen Information muss ich mich
verabschieden, denn ich bin zum Dinner auf einem
Rooftop verabredet. Brrr! Aber es gibt dort heisse
Milch und die besten fritierten Bananen mit Honig in
Jaipur.

Und bevor ichs vergesse, noch Hausaufgaben fuer die
Germanisten (lieber Onkel Matthias, was gibt es denn
nun ueber den Advent zu berichten?):
Warum sagen wir Deutschen: Ich habe Muskelkater?
Oder: Ich habe nen Kater fuer hangover?
Bei Katzen vermute ich mal, dass es mit dem
Mittelalter zusammen haengt. Aber koennte das bitte
mal jmd. in nem ethymologischen woerterbuch nachschlagen? Und auch, wo herkommt: halt die Ohren
steif? Ich bringe hier naemlich mit meinen Wort fuer
Wort Uebersetzungen immer alle durcheinander und zum
Lachen.

Also: Keep your ears stiff!
Juliane

Richtige Adresse:
Shyam Nagar
Janpath F-136
Jaipur | India

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